
3:50 Uhr. Ich bin wach, schalte den Wecker aus, der in zehn Minuten geklingelt hätte und springe aus den Federn.
Die Fahrradklamotten liegen bereit. Ich ziehe mich an, schleiche in die Küche und lasse einen Espresso durchlaufen. Es ist das letzte Wochenende im Oktober und ungewöhnlich mild. Vollmond. Halloween.
An diesem Morgen beschäftigen mich andere Dinge. Radfahrsachen. An alles gedacht? Bin ich bereit?
Im Auto wärmt mich die Sitzheizung. Wummernde Elektroklänge aus den Lautsprechern vertreiben die letzte Müdigkeit. Aus dem dunklen Taunus, rolle ich in Richtung des hell erleuchteten Frankfurt.
Ich bin ein echter Frankfurter Bub’. Allerdings nur auf dem Papier. Abgesehen von DER Eintracht, “Grie Soß” (hess.: Grüne Soße), “Äppler” (hess.: Apfelwein) und ein paar Grammatikfehlern, verbindet mich nicht viel mit meiner Geburtsstadt.
Denk’ ich an Frankfurt, denk’ ich an die Welt. Aber nicht an die Stadt selbst. Die Vielzahl meiner internationalen Radausflüge, starteten und endeten hier. Genauer gesagt am Frankfurter Flughafen. Ganz im Gegensatz zu der Stadt, finde ich mich am Flughafen bestens zurecht.
Ähnliches gilt für den Hauptbahnhof. Ausgerechnet der berüchtigte Bahnhof. Schließt dieser doch direkt an das zwielichtige Rotlichtviertel an. Aber wenn man es erstmal raus hat, nicht über die Spritzen und deren Nutzer*innen zu stolpern, ist doch zumindest architektonisch ein schöner Ort.
Ich weiß ziemlich genau welche Airlines von welchem Terminal abfliegen und an welchen Schaltern die jeweiligen Fluggesellschaften zu finden sind, aber wenn ich dir den Weg vom Römer zum Main erklären soll, muss ich mit den Schultern zucken oder das Handy zücken. Ein ausgesprochen zwiespältiges Verhältnis also.
Denk’ ich an Frankfurt, denk’ ich an Heimat. Es erfüllt mich jedes Mal aufs Neue mit großer Freude, wenn ich die ersten Fetzen Gebabbel aufschnappe. “Ei gude wie?!” Doch fragt mich jemand, was man in Frankfurt machen, sehen, erleben kann, zähle ich die gleichen abgenutzten Touristenorte auf, die auch eine schnelle Internetsuche ergeben.
Da kommt das Greffelründsche wie gelegen. Außerdem kann ich in diesen Wochen und Monaten nichts besseres gebrauchen als ein wenig Ablenkung von diesem zur Absurdität verkommenen Alltag.
Vollmond, frühmorgendliche Stille. Die eigenartige Zeit zwischen Nacht und Morgen. Die Lichter der Hochhäuser glitzern auf dem glatten Main widers – Welch’ Bühne für mein Unterfangen.

Am Vortag tuckerte ich aus der verschlafenen Eifel in den herbstlich tristen Taunus. Mein eingebauter Wecker hatte mit der frühen Uhrzeit keinerlei Schwierigkeiten. 4 Uhr, Kaffee, Kippe, Carazza. Wer mich kennt…
Aus dem dunklen Wald in die stets erleuchtete Stadt. Da ich gerade wieder auf dem Elektrotrip war, wummerten treibende Bässe aus den Lautsprechern, während ich in die Mainebene glitt. Hart Bock!
Es fühlte sich wie die Neuauflage meiner Jugendjahre an (jaja, doch!). Bisweilen nicht mehr im klapprigen Opel Astra auf dem Weg ins Cocoon. Das Navigationsgerät sagte mir den richtigen Weg an, Sitz- und Lenkradheizung wärmten mich angenehm – ein letzter Luxus vor dem langen Tag im Sattel.
Wie sich die Zeiten ändern: Damals starteten wir spät in die Nacht und beendeten sie bei Sonnenaufgang. Oder später. Mit Redbull getränkt und zwischenzeitlich abgekühlt durch die legendären, eisigen Stickstoffkanonen, tanzten wir durch die Nacht. Bis die Beine bleiern waren, der DJ zu vollgedröhnt (oder unzureichend vollgedröhnt?) und die trinkfreudigen MitfahrerInnen nicht mehr gehen oder sprechen konnten. Gute, alte Zeit.
Heute sind die Vorzeichen andere: Das zuckrige Kaltgetränk wurde schon lange durch kräftigen, heißen Kaffee ersetzt. Und statt die Stunden wie in früheren Jahren in rauchiger und, etwas später, in schwitziger Luft wegzutanzen, würde ich den Tag und einen guten Teil des Abends an der frischen Herbstluft verbringen. Das Ergebnis würde wohl ähnlich ausfallen: Bis die Beine nicht mehr treten konnten.
Dunkel war’s, der Mond schien helle…Also nicht zabbeduusdä (hess.: ganz dunkel).
Auf den Parkbänken am schnurgeraden Flussufer, lungerten verstreut die Gestalten der Nacht. Frankfurt. Von Dribbdebach (hess.: auf der anderen Seite des Baches) Sachsenhausen, Niederrad und Schwanheim hinüber nach Nied, Griesheim, Gutleutviertel und Ostend. Abermals über das scheinbar stille Gewässer und schon war die erste Mini-Schleife komplett. 290 Kilometer noch zu gehen. Die folgenden 90 Kilometer verliefen südlich des Stadtgebiets. Erstaunlich viel Wald und Wiese. Oberrad, Gravenbruch (noch nie gehört), Dreieich, Langen, Neu-Isenburg, vorbei am Langener Waldsee (Ironman Frankfurt lässt grüßen), Walldorf, um den Flughafen herum, Kelsterbach, zurück an den Main und mit der Fähre ‘niwwä (hess.: hinüber) nach Höchst.
Ausgeruht, energiegeladen und aufgeregt, wie ich war, rollten die ersten Stunden der Dunkelheit dahin. Mit der Dunkelheit ist es bei mir so eine Sache. Ich liebe die Ruhe der Nacht, die Lichter der Städte und die Sterne am Himmel. Auf der anderen Seite frage ich mich dann häufig, was das ganze überhaupt soll? Wieso sitze ich nicht gerade mit meinen Liebsten in der warmen, beleuchteten Stube und genieße ein leckeres Abendessen, oder ein Glas Wein, oder liege schlummernd im Bett. Doch dann erinnere ich mich an andere Nachtfahrten und dieses unbeschreibliche Gefühl, das einen befällt, wenn die Morgendämmerung einsetzt. Unbeschreiblich. Alle Anstrengung verschwindet, zumindest für einen Moment und es fühlt sich wie ein frischer Start an. Die zuvor gefahrenen Kilometer sind wie ein Bonus.

Und dann kam sie. Die Dämmerung. Die unzähligen Kanickel, welche die Parks und Wiesen Frankfurts bevölkern, verkrochen sich allmählich. Übereifrig schaltete ich mehrfach die Bildschirmbeleuchtung des Navigationsgeräts und meine Kopflampe aus. Nur um beides im nächsten Waldabschnitt wieder einzuschalten. Mit diesem Hin und Her verging noch ein gutes Stück. Irgenwann war es dann soweit und die ersten Sonnenstrahlen lugten über den Horizont und verwandelten die Wolken in ein orange-rotes Gemälde. Das sind die einmaligen Momente, die süchtig machen. Allein die Vorstellung, dass kein Sonnenaufgang dem anderen gleicht und man Zeuge dieses Schauspiels sein darf.
Die späten Herbstfarben der Natur würden heute nochmal richtig zur Geltung kommen. Von hellgelb bis rostrot feierte sich die dritte Jahreszeit im warmen Sonnenschein selbst. Doch bei Sonnenaufgang war dieses Farbenspiel im wahrsten Sinne noch weit entfernt. Naja, im Falle des Greffelründsches wohl eher unzählig viele Abbiegungen und Wendungen.
Ich musste nicht auf die Uhr blicken, um abschätzen zu können, wieviel Uhr es war. Zuerst kommen die Gassi-GeherInnen und vereinzelte LäuferInnen (die, die es ernst meinen), danach die BrötchenholerInnen, SamstagmorgeneinkäuferInnen und JoggerInnen (die, die es nicht ernst meinen und ihr gewissen beruhigen, bevor sie sich drei Croissants beim Sektfrühstück reinschieben). Da ich es erwähne: Frühstück! Da war ja was.
Nach üppiger Kohlenhydratmast in den vorangegangenen Tagen und der frühen Aufstehstunde geschuldet, war mir am Morgen nicht nach frühstücken. Ein Espresso genügte und dann war ich auch schon unterwegs.

In den ersten Stunden nippte ich gewissenhaft an meinem Isogetränk und lutschte ein paar Gels. Verpflegen der bloßen Leistungserhaltung wegen war noch nie meine Stärke. Vor allem auf dem Rad. Echte, feste Nahrung. Ich bin bekennender Freund des Butterbrotes. Bildlich gesprochen.
Zwar hatte Ken, der Schöpfer des Greffelründsches einige Verpflegungspunkte in der Routenkarte vermerkt. Doch so ganz hatte ich das nicht mehr auf dem Schirm. Wozu auch?! In Frankfurt würde ich wohl an mehr als genug Geschäften vorbeikommen.
Für diese Route trifft das nicht zu. Was beweist, dass das Greffelründsche seinem Namen alle Ehre macht. Und wieder erhöht sich der Schwierigkeitsgrad.

Verpflegung will gekonnt sein – Was brauche ich, wann brauche ich es und vor allem wieviel. Wie bereits angesprochen, lerne ich diesbezüglich immer wieder dazu. Doch gerade weil ich den genusslosen Fraß aus reiner Energiegewinnung verabscheue, will ich mir die Taschen nicht mit Sachen vollpacken, die ich dann 300 Kilometer durch die Gegend kutschiere.
Ein paar Dinge, die es unter keinen Umständen lange in meinen Packtaschen aushalten, haben sich dennoch etabliert. Snickers und Gummibärchen beispielsweise. Ansonsten zelebriere ich den Bäckereibesuch. Nach guten 70 Kilometern, in Mörfelden-Walldorf, war es dann soweit. Drei Bretsche (hess.: Brötchen) begleiteten mich bis zur Fähre in Höchst, welche gleichzeitig das Ende der ersten von drei Runden markierte
.
Nachdem ich realisiert hatte, dass ich auf der Freiluftfähre (!) garnichts essen darf, weil ich ja meine Maske (radfahrgemäß natürlich mit Schlauchschal, besser bekannt als Buff) tragen musste, stopfte ich mir das verbliebene Brötchen einmal quer rein, bevor ich den Kutter bestieg. Vielleicht lag es an der trockenen Natur des Gebäcks, jedoch genügte die Überfahrt nicht, um zuende zu kauen.

Ich war zunächst geneigt die Route komplett auf mein Navigationsgerät zu laden, da ich es nicht mag zwischendrin anhalten zu müssen, um die neue Route zu laden. Doch auch hier hat Ken ganze Arbeit geleistet, da er die drei Streckenabschnitte so aufgeteilt hat, dass sie jeweils an strategischen Punkten enden.
Erst an der Fähre, später in Bad Vilbel direkt am Marktplatz. Psychologisch war es für mich auch perfekt aufgestückelt – Der erste Teil war mit 113 Kilometern der längste; die übrigen zwei lagen mit 98 und 95 Kilometern knapp unterhalb der Hundertermarke.
Anstiege, Berge und Höhenmeter sind mein Steckenpferd. Somit interessierten mich die auf 305 km verteilten 1800 Meter Höhenunterschied herzlich wenig. Zunächst. Im letzten Teil des Gegreffels werde ich darauf zurückkommen.
In Höchst, Unterliederbach und Sossenheim bekam ich dann so langsam ein Gefühl, was mir an diesem Tag noch bevorstehen würde. Das Piepsen meines GPS-Geräts hörte garnicht mehr auf, so oft wurde neue Richtungsänderung angezeigt. Wer auf dem Ründsche in Bewegung bleiben will, muss es meistern ein Auge auf den Weg und das andere auf die Navi-Karte zu werfen. Gepaart mit einem Gefühl für die Natur der Strecke. Damit meine ich etwa welche Wegart vorherrschend ist, was hat sich der Planer vorzugsweise ausgesucht, wie oder was hat er sich dabei gedacht und wo befinde ich mich gerade. D.h.: Karte, Strecke und Gelände lesen und richtig interpretieren.
Auf meinem Bildschirm war immer die Karte, noch verbleibende Distanz und die Strecke bis zur nächsten Abbiegung angezeigt. Letzteres war die entscheidenste Kennzahl, um sich auf dem Rad ein bisschen zu erholen. Wenn es 500 Meter oder mehr waren, was wirklich nur selten vorkam, konnte ich den Kopf kurz mal ausschalten. Wer hier nicht durchweg konzentriert ist, wird in den Wahnsinn getrieben, weil man sich am laufenden Band verfährt. Den einzigen Rhythmus, den man während des Greffelründsches finden kann, besteht aus beschleunigen, bremsen und wieder beschleunigen. Antritt, Manövrier- und Navigationsfähigkeit sind die entscheidenden Kompetenzen.
Plötzlich eine vertraute Abbiegekombination in Sossenheim. Doch woher kannte ich dieses Zick-Zack? Die typische Wochenendrunde zum bzw. auf dem Niddaradweg mit meinen Eltern. Auf dem Rückweg musste Papa häufiger mal schieben. Also er musste mich schieben. Gute 25 Jahre her.
Eine Umleitung machte es möglich. Ein ganzer Kilometer geradeaus. Durchschnaufen. Abschalten. Strecke machen.
Rödelheim, Hausen, Bockenheim. Es scheint als hätte jeder Frankfurter eine Kleingartenparzelle. Und überall wurden Würstchen gegrillt. Klischees in Perfektion. So eine Woaschd (hess.: Wurst) hätte ich wohl auch auf die Hand genommen.
Westend Nord, Ginnheim und durch den Volkspark Niddatal richtung Praunheim.

Alle waren draußen, um die warme Spätoktobersonne zu genießen. Ich blickte voraus und freute mich auf halbem Weg meinen Babba (hess.: Vater) zu treffen. Meine Konzentration ging mal wieder flöten. Ich verrechnete mich, weil ich schon wieder vergessen hatte, dass der erste Greffelabschnitt 113 Kilometer hatte und nicht 100. Also würde ich deutlich früher als mitgeteilt am vereinbarten Treffpunkt vorbeikommen.
Das bemerkte ich erst an der berüchtigten Raststätte an der A5. Berüchtigt, weil diese vielfach im Gruppenchat der Veranstaltung erwähnt wurde. Plötzlich spuckt es einen an der Leitplanke aus und man fährt über das Raststättengelände. Dann muss man aufpassen nicht die steile Treppe auf der anderen Seite hinunterzustürzen. Fast passiert.
Aufgrund der knappen Vorankündigung meinerseits, bekam mein Vater auch ein bisschen Greffelfeeling mit, weil er über den matschigen Aggä (hess.: Acker) gerannt kam, um mich abzupassen. Das beorderte Wasser und eine Kopfschmerztablette blieben daher leider auf der Strecke. Schon den ganzen Tag plagte mich Kopfweh, das sich nur schleppend besserte und die Fahrt rückblickend stärker beeinträchtigte, als gedacht.

Das kurze Treffen mit Babba, hob die Lebensgeister wieder. Zudem ging es mal wieder ein Stück geradeaus. Links der Feldberg, rechts die Skyline. Blauer Himmel, frische Brise und die Hälfte war geschafft. Geil.
Niederursel, Riedberg, Kalbach, Ober-Eschbach. Viel freies Feld und schöne Ausblicke auf meinen geliebten Feldberg. Fast schon schade, dass er es nicht in die Greffelrunde geschafft hat. Aber dafür gibt es ja den Taunustaler, oder das Taunus-Bikepacking, dass ich hoffentlich auch irgendwann mal bestreiten kann. Leider ist für letzteres Event die Route nicht öffentlich und der Termin liegt nie in meinen Sommerferien.

Meine Flüche mehrten sich. Zerfurchte Ackerpfade. Hass pur. Schön durch die halbfeuchten Traktorenspuren juckeln. Alter. Offensichtlich wurde ich langsam müde, auch wenn mir mein Kopf etwas anderes sagte. Die Motivation war ungebrochen. Nur wurde die Zündschnur immer kürzer.

Zwar lag der Feldberg in weiter Ferne, dennoch wurde es in der nördlichen Richtung hügeliger. Da waren sie plötzlich spürbar, die paar Höhenmeter.
Bonames, Harheim, Nieder-Eschbach, Ober-Erlenbach, Nieder-Erlenbach, Massenheim, Bad Vilbel. Die wichtige 200er Marke war durchbrochen. Mental ein wichtiger Punkt: Nur noch 100. Hundert gehen immer.

Ich lud die dritte und letzte Runde auf mein Navigationsgerät. Noch 95 Kilometer. Das sollte doch klappen. Aber erstmal Pause. An diesem Punkt hatte ich wirklich gar keinen Appetit mehr. Aber nach 200 Kilometern muss einfach Energie zugeführt werden, um die Maschine am Laufen zu halten. Zeit für Gummibärchen.

Gerne hätte ich mich an diesem Punkt auch mit einem Eis oder Kaltgetränk in die Sonne gesetzt und den Gott einen lieben Mann sein lassen. Aber meine Aufgabe war noch nicht vollendet.
Der dritte Teil des Ründsches startete vergleichsweise brutal. Steil ging es nach oben und meine Knie sagten mir, dass ich heute schon häufig hart in die Pedale gestiegen bin. Das viele beschleunigen hatte seine Spuren hinterlassen. Geduld. “Als weidä” (hess.: immer weiter).
Wenn ich es richtig erinnerte, stand mir jetzt der schwierigste Teil bevor. Viele Abbiegemanöver auf engem Raum. Und ich dachte mir: Noch mehr Abbiegerei? Es hielt sich in Grenzen. Oder ich hatte mich einfach daran gewöhnt alle 50 Meter in einen anderen Weg, durch eine neue Gasse oder auf einen weiteren matschigen Trampelpfad abzubiegen.
Von Bad Vilbel ging es durch die Siedlung Heilsberg, Preungesheim und nochmal nah an Bad Vilbel vorbei. An dieser Stelle sollte angemerkt werden, dass ich während der Fahrt nur ganz grob wusste, wo ich ungefähr war. Abundzu ein Schild gelesen, hier und da mal die Skyline oder den Feldberg erblickt und das war es auch schon. Die Aufmerksamkeit galt stets der nächsten Weganweisung.
Die Sonne senkte sich schnell gen Horizont. Es wurde frisch, aber ich war zu stur mich wieder warm anzuziehen. Die vergangengen Kilometer kam ich gefühlt überhaupt nicht voran. Endlich rollte jetzt mal wieder. Also das, was man für das Greffelründsche als rollen bezeichnen kann.
Die Kilometerangaben meines Navigationsgeräts sträubten sich weniger zu werden. Die vielen kurzen Anstiege taten jetzt doppelt weh. Mein nächstes Zahlenziel hieß 50. Ich malte mir aus, dass alles einfacher würde, wenn es nur noch 50 Kilometer zu fahren waren. Von dort würde die Anziehungskraft des Ziels mit jedem Meter stärker werden und das Fahren immer leichter. Langdistanzen sind Kopfsache. Oder Selbstverarschung, wie ich es nenne.
Die magische Zahl rückte näher. Und es ging sogar ein längeres Stück bergab. Was für ein Geschenk an diesem Punkt. Zwischenzeitlich hatte ich mich wieder warm eingepackt und die Radbeleuchtung installiert. Erneut stand die Dunkelheit bevor. Eingeleitet durch einen phänomenal, riesigen Mondaufgang. Einfach geil. Wieder so ein Radfahrmoment.

Ich konnte schon die Lichter Bergen-Enkheims sehen. Nach Querung einer stark befahrenen Landstraße hakte die Schaltung. Es klang auch nicht so gut, wenn ich pedalierte. Irgendwas war da im Argen. Ich rollte noch ein paar Meter zur ersten Laterne neben einem Hochhauskomplex. Kleine Hexen, Spidermen und andere maskierte Gestalten ohne Kostüm wunderten sich welche Gruselgestalt da unter der Laterne sein Rad zerlegte. Halloween.
Kurz gefasst: Schaltauge kaputt.
Ich versuchte die Sache irgendwie wieder gerade zu biegen. Allerdings ist da im seltensten Fall ratsam. Und führte auch in diesem Fall nicht zum gewünschten Ergebnis. Dreck!

Eine sehr fürsorgliche Greffelründscheteilnehmerin bot mir in der Gruppenunterhaltung sogar noch ein Ersatzrad an. Aber die Aussicht in der Dunkelheit auf irgendein fremdes Fahrrad zu warten und damit dann noch 3 Stunden durch die Gegend zu fahren, war keine Option. Nicht für mich in diesem Moment, nach diesem Tag.
Als mir bewusst wurde, dass ich den Schaden nicht ohne erheblichen Zeit- und Arbeitsaufwand, oder Hilfe von außen beheben konnte, resümierte ich schnell meine Beweggründe dieses Abenteuer auf mich zu nehmen und was mein Hauptziel war:
Ich wollte finishen. Sonst wäre ich nicht gestartet. Aber vor allen Dingen wollte ich nochmal “was Großes” zum Abschluss der Saison unternehmen. Mich ein letztes Mal verausgaben, bevor zwischen den Jahren die Festive 500 auf mich warteten.

Nach 12 Stunden Fahrzeit und 250 Kilometern hatte ich dieses Ziel definitiv erreicht. Ich verspürte weder Enttäuschung, noch Ärger. Zwar gab es nichts zu feiern, aber trauern musste ich auch nicht. Schließlich rennt das Greffelründsche nicht weg. Es ist da und wartet auf mich, wenn ich es nochmal probiere. Ich komme wieder!
Es bleibt ein denkwürdiger, unvergesslicher letzter Oktobertag auf dem Rad. Danke Frankfurt.