Aus Sydney rauszufahren war genauso entspannt, wie der Weg in die Stadt. Die clever angelegten Radwege machen es einfach das Zweirad dem Auto vorzuziehen. Aber ähnlich wie in Deutschland ist es ein elender Kampf zwischen Auto- und Radfahrern. Es ist also immer Vorsicht geboten. Ich rollte durch das morgendliche Surry Hills und wurde von unzähligen Radlern auf ihren Hipster-Retro-Rädern und Fixies überholt. Oder Hipster überholten mich mit ihren Rädern. Wie auch immer.

Umso mehr wurde mir bewusst welchen Luxus ich hatte. Mein Luxus ist Zeit. Ohne Druck zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort zu sein, und am Wenigsten einem Arbeitsplatz, konnte ich die vielfältigen Eindrücke der Weltstadt auf mich wirken lassen. Entspannt und ohne Hektik radelte ich in Richtung Fährhafen, während die Sydneysider ihre Triple-Shot Soja Latte’s To Go in den vielen kleinen Cafés bestellten. Es mögen mittlerweile wohl eher Cold Brewed Bullet Proof Kaffees sein.
Auf Anraten Jeffs, meinem Warmshower Gastgebers in Sydney, wollte ich die Fähre nach Manly nehmen. Es wäre sicherlich cool gewesen über die berühmte Harbour Bridge zu fahren, aber das hebe ich mir wohl für ein anderes Mal auf.

Ich hatte noch eine halbe Stunde Zeit bis die Fähre ablegen würde und so nutzte ich die Gelegenheit nochmal beim Opera House vorbeizuschauen. Noch nie war ich zu so früher Stunde dort und es war ein Traum das Wahrzeichen ohne die Touristenmassen zu bestaunen. Ich bat einen Japaner, der mit professionellem Kameraequipment daherkam, ein Foto von mir zu schießen. (Wenn man alleine reist und nicht immer diese blöden Selfie-Bilder haben will, fragt man am besten Leute mit fetten Kameras oder Menschen die ihre Fotos auch mit dem Smartphone machen). Der Kollege nahm seine Aufgabe sehr gewissenhaft und wusste offensichtlich sehr genau was er tat. Ich wurde mehrmals umpositioniert, bis er mit dem Ergebnis befriedigt war. Doof nur, das ich mir in dem Moment nicht bewusst war, dass mein Hemd noch in der Radlerhose steckte – Jetzt habe ich ein professionelles Foto auf dem ich bescheuert aussehe. Hat auch was.

Die sieben Dollar für die Fähre sind gut investiert. Ich hatte nochmal einen herrlichen Ausblick auf Opera House, Harbour Bridge und die Stadt, welche von der Morgensonne in ein weiches, warmes Licht getaucht wurde.

Ab Manly bekam ich vor allem Strände zu sehen. Ein Sandstreifen nach dem anderen. Schnell wurde mir klar, dass ich nicht an jedem Strand anhalten konnte, um hunderte Fotos zu machen. Es war nur so ein Kontrast nach der Strecke zwischen Melbourne und Sydney. Und es war eine herrlich schöne Abwechslung wieder die Salz geschwängerte Brise zu atmen und die vielen Blautöne des Ozeans zu bestaunen.

Regenwald, Strände, Buchten. Eine malerisch schöne Strecke. Und Häuser auf den umliegenden Hängen zum niederknien. Wer hier wohnt, kann wahrlich behaupten im Paradies zu leben. Da bekomme selbst ich Sehnsucht mich niederzulassen. Im idyllischen Entulla, was so ziemlich das Ende der Straße markiert, hatte ich über eine Stunde Zeit bis zur nächsten Fährüberfahrt und nutzte die Zeit für ein ausgedehntes Mittagsmahl. Üblicherweise bedeutet das in meinem Fall lediglich, dass ich etwas nahrhafteres, als Erdnussbutter Sandwiches zu mir nehme. Dank sei den Gourmet Heringsfilets in Senfsauce von ALDI.

Eine Schweizer Familie, welche mir die kommenden Tage immer wieder begegnen würde, genoss ebenfalls ein entspanntes Mittagessen am Strand. Es hat einfach alles gepasst an diesem Tag und ich muss ein penetrant breites Grinsen im Gesicht gehabt haben.

Zum Ende des Tages kämpfte ich mich einen krank steilen Hügel hinauf. Nach Tasmanien kann mich nichts mehr schocken, aber das war auch schon wieder etwas her. Eine ältere Dame, die schnaufend hinaufspazierte, honorierte meine Anstrengung indem sie bemerkte, dass sie dort noch nie jemanden mit Rad gesehen hat. Ich sprach sie auf eine Möglichkeit zum Campen an und wir quatschten eine Weile bis wir uns darauf einigten, dass es wohl das Beste wäre, wenn ich mir an irgendeinem Strand ein Plätzchen suchte. An einem schönen Streifen Sand namens Shelly Beach, schlug ich mich in die Dünen.

Das war zwar mit einigem Aufwand verbunden, aber spätestens als ich mit einem Schlückchen Wein mein Abendessen genoss und die Weite des Meeres auf mich wirken ließ, war alle Mühe vergessen. Es wurde noch besser, als ich den Mond aufgehen sah. Hinter mir färbte die Sonne den Himmel orange-rot und pink, während vor mir der volle Mond aus dem Meer emporzustieg. Wow – Das hatte ich noch nie gesehen. Was für ein Tag.


Am Morgen durfte ich mit uneingeschränkter Sicht den Sonnenaufgang genießen. Dann hieß es zusammenpacken und meine sieben Sachen, viel mehr sind es tatsächlich nicht, zurück zur Straße zu schleppen. Bis zum Ort The Entrance führten mich Radwege vorbei an den vielen Pelikanen, die die Fischreichen Gewässer ebenso zu schätzen wissen, wie die Angler, die vom Ufer, Brücken oder aus Booten und Kajaks heraus ihre Leinen werfen. All das erinnerte mich stark an Florida. Es fehlten nur die Fisch-Restaurants am Straßenrand.

In Swansea besuchte ich die Bibliothek, die praktischerweise auch Touristeninformation war. Ich bediente mich mit Bananen und Birnen, die es umsonst gab, feilte an einem weiteren Blog-Beitrag und informierte mich über die Ladenöffnungszeiten während des gerade beginnenden Osterwochenendes.

Über einen Railway-Fahrradweg kam ich nach Newcastle. Der beste, den ich bislang befahren habe: Glatter Asphalt, durch dichten, ruhigen Wald. Am Ende wartete die nächste Fähre, welche vollgepackt war mit Schulkindern, die enthusiastisch und überdreht die ersten Stunden ihrer Osterferien feierten. Das war immer ein Gefühl in die Ferien zu starten! Aber ich bin ja gerade auch nicht in der schlimmsten Situation. Genauso voll wie die Fähre, war auch die Straße nach der Überfahrt. Alle waren auf dem Weg in den Urlaub.
Es ging mal wieder durch eingezäuntes Farmland und ich hatte Schwierigkeiten einen Platz zum Campen zu finden. Als ich auf eine ruhigere Straße einbog, die treffenderweise Marsh Road hieß, war die Hoffnung beinahe beerdigt etwas zu finden – Mangrovenwald und Sumpflandschaft. Dann kam ich aber an einem wunderbar getrimmten Stück Rasen vorbei, eingerahmt von drei Häusern. Das erste Mal, dass ich jemanden um Erlaubnis fragen musste, um auf einem Grundstück zu übernachten. Es stellte sich heraus, dass der Rasen dem Ortspolizist gehörte, der natürlich gerade nicht da war. Aber wie so oft in Australien, kommentierten die beiden Nachbarn, es würde schon kein Problem sein. Kein Polizeiauto in dieser Nacht.
Am Morgen fuhr ich durch die vernebelten Sümpfe, während die Sonne aufging. Eine einmalig friedliche Stimmung. Das weiche Morgenlicht und der Bodennebel verlieh den vereinzelten Weiden mit grasendem Vieh ein mystisches Ambiente. Vom Sumpf zu den Stränden von Nelson Bay, wo Touristen und Ansässige gleichermaßen einen morgendlichen Spaziergang entlang des Wassers genossen. Und dann war es mal wieder Zeit für was?
Die nächste Fährüberfahrt. Es waren nur der charismatische Kapitän, ganz der wettergegerbte, faltig aber fitte Seemann, und ich. Laut ihm sparte ich durch die knapp einstündige Fährüberfahrt eine Strecke von 100 Kilometern. Ich kam also gut voran. Viel wichtiger aber, dass ich auf ruhigen und landschaftlich schönen Wegen unterwegs war und nicht auf dem übervollen, lärmenden Highway. Kein Plan warum sich andere Radreisende das antun, wie auf vielen Blogs zu lesen ist.

Auf der anderen Seite war ich ein bisschen verwirrt und verwechselte die Ortsnamen, was dazu führte, dass ich ein paarmal zwischen den beiden Ortschaften hin- und herfuhr bis ich auf dem richtigen Pfad war. Ab in den Nationalpark und einer schönen Fahrt durch den Wald. In Mango Bush, einer der vielen Campingplätze, hielt ich für einen Happen zu Essen und sprang ins kühle Nass. Ich traf zwei niederländische Mädels und die Pause wurde ein bisschen länger, als geplant.

Der Campingplatz war voll mit Osterurlaubern. Wir hatten Glück und die benachbarte Partei ließ uns in den Genuss von gegrillter Schweinerippe und Hähnchenspießen kommen. Welch ein Genuss! Ein großer Goanna, eine Riesen-Eidechse, wanderte umher auf der Suche nach Essensresten. Ausreichend erholt war ich bereit für den anstehenden Schotterstraßenabschnitt. Absolut Autofrei ging es ratternd über spitze Steine, Sand und Waschbrettpiste, aber gleichzeitig durch schöne und ruhige Natur.

Zum Ende der Schotterstraße hielt ich relativ früh um Halt für den Tag zu machen. Etwas zu früh und etwas zu nah am Schotterweg, denn der Ranger, der später vorbeikam, hatte es nicht so gerne, dass ich dort schlafen wollte. Das ist mir bislang auch noch nicht passiert. Ich wartete bis er weg war und schlug mich einfach tiefer in die Büsche, von wo aus ich nicht gesehen werden konnte. Dann war es dunkel und ich hatte meine Ruhe für die Nacht.
Wo auch immer ich während der Osterferien vorbeikam hatte ich dieses Sommergefühl, auch wenn hier jetzt Herbst ist. Dieser Geruch von Sonnencreme und das Geräusch von spielenden Kindern. Vielleicht erinnert mich das auch einfach an Schwimmbäder in Deutschland. Das ist mein Sommer in Deutschland: Schwimmbad, Eis essen und abends Grillen. Die Australier Grillen das ganze Jahr und scheinbar rund um die Uhr. Was soll man auch sonst machen, wenn an jeder Ecke Picknicktische mit öffentlichen Grills zur Verfügung stehen. Aber auch die Atmosphäre war entspannt und unbeschwert. Oder noch entspannter, als es ohnehin der Fall ist. No worries mate!
Ich musste ein paar Abschnitte entlang des Highways fahren, was alles andere als entspannt war. Richtig absurd wurde es allerdings in Tarrec, als ich auf einem scheinbar ruhigen Radweg an einem Fluss entlang fuhr. Dort fand ein Speedboot-Rennen statt und es war einfach nur fürchterlich laut. Lärm ist untertrieben. Hunderte Zuschauer schien das jedoch nichts auszumachen. Vier Tage lang schauen und hören (!) Leute sich das an. Ich bin mir unsicher, ob ich darüber lachen oder weinen soll. In diesen Momenten hinterfrage ich ernsthaft den Verstand der Menschheit.
Überall urlaubende Familien. Und dieses Sommergefühl. In Crowdy Bay, einem anderen schönen Strand im Nationalpark, ging ich eine Runde schwimmen. Es macht so einen Unterschied am Ende eines Tages den Luxus zu haben ins Wasser zu springen oder zu duschen. Ich schlief im benachbarten Stoppelfeld und kam am nächsten Morgen zum Strand zurück um zu frühstücken und den Sonnenaufgang zu beobachten. Selten wie in diesen Momenten, fühle ich mich so verbunden mit der Natur und verspüre das unbeschreibliche Gefühl von Freiheit. So sollte das Leben immer sein, denke ich mir dann. Den Moment leben. In unserer Zeit eine oft gepredigte, aber selten gelebte Kunst.
Kurz vor Port Maquarie hatte ich meine bislang merkwürdigste Begegnung mit einem anderen Radfahrer. Keine Ahnung, ob der Kollege einfach ein wahrloser Verrückter oder allen Ernstes ein Radreisender war. Jedenfalls hatte er einen Berg aus Zeug auf sein Hinterrad gespannt und war kurz vor dem Zurückrollen, wenn es bergan ging. Weder antwortete er auf meine Ansprache, noch würdigte er mich eines Blickes. Ich überholte ihn, wurde dann erstaunlicherweise wieder von ihm überholt. Ich war überfroh als ich ihn nach Port Maquarie hinein dann letztmalig passierte und ihn nicht wiedertraf.
Nach einer abermaligen Flussüberfahrt von Port Maquarie hatte ich die bis dato fieseste Buckelpiste zu überwinden. Böse Wellen und viele Brocken sorgten für kontinuierliches Geratter und verlangten meine volle Aufmerksamkeit. Eine Prüfung für Körper, Geist und Material, aber nur ein minimaler Vorgeschmack auf die hunderten von Kilometer von Pisten zwischen Cairns, Cape York und Perth. Ich war froh in den nächsten Distrikt zu gelangen, denn oftmals geht damit auch eine Veränderung des Straßenbelags einher. Der Weg war nun etwas angenehmer zu befahren und ich kam schneller voran. In der Dämmerung rollte ich nach Crescent Head und fand mich mal wieder mit der Suche nach einem geeigneten Camp Platz konfrontiert. Ich dachte an den Strand, aber zwei direkt angrenzende Campingplätze schlossen diese Option aus.
Es wäre cool gewesen etwas länger in dem berühmten Surf Ort zu verweilen, aber ich bin kein Surfer und hatte bereits zugesagt am nächsten Tag bei Sally einzutrudeln, einer Radreisenden, die ich im November entlang der Great Ocean Road begegnet war. Es war spät, ich war müde und meine Optionen schienen erschöpft. Wo also schlafen? Neben Wasser und Nahrung die tägliche Herausforderung, wenn ich mit dem Rad unterwegs bin. So ist das Leben des Radreisenden, der von etwa 9 Euro am Tag lebt.
In den Ort hinein kam ich an einer Schule vorbei. Und genau dahin kehrte ich zurück, nachdem ich mein Abendessen am Strand beendet und geduscht hatte. Mal wieder was Neues. Ich denke darüber nach eine To-Do Liste für Camp Spots anzulegen. Zwischen Schulbücherei, Gemüsegarten und Hühnerstall schlug ich mein Zelt auf.n

Am nächsten Tag machte ich mich auf nach Nambucca Heads. Fast zu Beginn meiner Australienreise hatte ich Sally und ihre Freundin getroffen, die in entgegengesetzter Richtung auf der Great Ocean Road unterwegs waren. Als ich den Ortsnamen auf der Landkarte wiedererkannte, kontaktierte ich Sally und ich wurde von ihr und ihrem Mann Stuart eingeladen im neugebauten Haus am Strand zu übernachten. Was für ein traumhaftes Plätzchen für einen Ruhetag!

Der Weg nach Nambucca war ganz nebenbei auch eine schöne Strecke. Noch besser, nachdem ich ein paar Tipps von Sally bekommen hatte. Von weitem Farmland zu Beginn des Tages, in saftig grünen Wald entlang Bächen und Stränden. In Stuarts Point erfrischte ich mich im Meereszufluss. Das beste was ich an solch einem heiß-schwülen Tag machen konnte. Es war richtig tropisch und wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich genauso gut in Süd-Ost-Asien sein können. Palmen, Bananenplantagen, der allgegenwärtige Geruch von Zitronengras, haushoch gewachsener Bambus und einfache Hütten in der ländlich geprägten Gegend.

Der Aufenthalt bei Sally und Stuart war nicht nur erholsam, sondern vor allem inspirierend, wenn man ihre Lebensgeschichte betrachtet. Angefangen hat alles mit einer Bananenplantage, später Avocados und Mangos und das alles während sie nebenbei sechs Kinder großgezogen haben. Wow. Stuart, der seit jeher selbstständig ist, hat mein Verlangen mein eigenes Ding zu Machen abermals bekräftigt. Nach einem Radfahrerwürdigem Willkommensessen, fand ich mich in einem großen, frisch gemachten Bett in meinem eigenen Zimmer wieder. Frisch geduscht, wohl genährt und gemütlich lauschte ich den krachenden Wellen und zirpenden Grillen. Unbezahlbar.

Den nächsten Morgen startete ich mit einem kurzen Spaziergang zum Strand, um den Sonnenaufgang zu genießen. Mächtige Wolken in der Ferne boten einen guten Kontrast zum orange-roten Farbenspiel der aufgehenden Sonne. Anschließend hatten wir gemeinsam Frühstück. Während meine Gastgeber ihren Pflichten nachgingen, ging ich die einsamen Strände entdecken und nahm den Kampf mit den Wellen auf. Es war gut etwas Zeit für mich zu haben, ohne auf dem Rad zu sein.

Abgesehen von meinem morgendlichen Ausflug, war es ein geschäftiger Ruhetag: Wäsche waschen, Zelt flicken, Instandhaltungsarbeiten am Rad und Kopieren von Straßenkarten für den Weg nach Norden. Und schon war es Zeit fürs Abendessen. Sally und ich tauschten uns über Raderlebnisse, was meine Liste weiter wachsen ließ. Stuart kochte ein Hühnchen Curry, natürlich mit Kräutern und Gewürzen aus dem Garten.
Ein weiterer Sonnenaufgang am Strand, ein letztes gemeinsames Frühstück und Abschied von Sally, die sich aufs Rad und zur Arbeit schwang. Wieder zwei neue Bekanntschaften, die ich keinesfalls missen möchte und nun Teil meiner Reise sind. Ich verbrachte noch etwas Zeit mit Stuart und wir redeten über sein erstes kleines Business – Er lebte auf Magnetic Island, einer winzigen Insel vor Townsville in Queensland, und machte Nutzen aus den Massen an Mangos, die wild wuchsen. Das Geld lag sprichwörtlich auf der Straße und er musste lediglich den Transport aufs Festland organisieren.

Dorrigo war mein nächstes Ziel und so steuerte ich tiefer Richtung Inland und weiter aufwärts. Am Tag meiner Weiterreise war eine Menge Regen angesagt und die dunklen Wolken in den Bergen sahen wenig vielversprechend aus. Ich bin kein großer Freund von Regen. Dafür mag ich Australien. Im beschaulichen Hippieörtchen Bellingen ging ich meine Möglichkeiten durch. Ich könnte die 700 Höhenmeter nach Dorrigo in Angriff nehmen, wo es bedrohlich düster aussah, in Bellingen im Hostel unterkommen, oder mein Glück über Warmshowers versuchen. Ich probierte letzteres und hatte Glück, dass Kerrie und Ian, die einzigen Gastgeber im Ort, so flexibel waren mich spontan aufzunehmen. Während eines kurzen Regengusses suchte ich Unterschlupf in der Touristeninfo wo ich mal wieder auf die Schweizer Familie traf
Kerrie arbeitete an diesem Tag von zuhause und so konnte ich bereits zur Mittagszeit einkehren. Die beiden wohnen in einem idyllischen Plätzchen mitten im Busch, etwas außerhalb von Bellingen.

Die ultimative Regenwalderfahrung, was mich an meine Zeit als Kirschpflücker erinnerte, als ich in den Huon Bush Retreats in Huonville campierte. Das Beste am Haus war die Toilette. Das klingt als wäre es ein grässlicher Ort. Also, mein Lieblingsplatz war die Toilette. Ich höre mich immer noch wie ein Bekloppter an, naja, jedenfalls ist es ein Kompostklo. Nur ohne den gewöhnlichen Gestank. Nachdem ich Australien und Neuseeland ausgiebig bereist habe, habe ich zahlreiche dieser Toiletten gesehen. Aber es ist ein richtiges Erlebnis, wenn es bei jemanden zuhause ist und nicht am Straßenrand oder einem Nationalpark. Ein leichte Brise am Hinterteil und anstatt einer Spülung, wirft man eine Hand voll Sägespäne in den Abgrund. Überragend!Nach einem Käffchen führte mich Kerrie durch die drei Straßen im Ort. Die Cafe-Dichte ist überwältigend. Ich wurde zu einem übergroßen, lecker-schmecker Lamm-Pie eingeladen. Ein Genuss. Ian kehrte von der Arbeit heim und wir gingen mögliche Routen für die Weiterfahrt nach Queensland durch. Dann gab es ein fettes Abendessen mit gegrillten Schweinesteaks, Salat und Obstsalat mit Joghurt. Das sollte mich locker über den Berg bringen. Und wieder Abschied nehmen. Immer der schwierigste Part nach einer guten gemeinsamen Zeit.

Noch innerhalb Bellingens hielt ich plötzlich meinen linken Schalthebel in der Hand. Tolle Wurst! Mit etwas Spucke und vor allem viel Klebeband, konnte ich das Malheur provisorisch beheben. Aber mir war klar, dass es früher oder später Ersatz benötigte. Solange ich nicht in meine Einzelteile zerfalle ist ja Alles gut. Am Start des Anstiegs war eine Baustelle und ich unterhielt mich dem Kollegen, der die Macht über das Stoppschild hatte. Das übliche wo-warst-du-und-wo-geht-es-hin Gelaber, aber nachdem es am Vortag in Bellingen kaum geregnet hatte, war ich froh zu erfahren, dass die Straßenarbeiten aufgrund des starken Regenfalls abgebrochen werden mussten. Aber auch abgesehen davon wäre es ein Verlust gewesen diese beiden liebevollen Menschen kennenzulernen und Zeit in Bellingen zu verbringen.

Der Stoppschildmann spielte mir in die Karten, denn so kamen immer nur eine Hand voll Autos auf einmal an mir vorbei, dazwischen lange Pausen ohne Verkehr. Es war eine super Fahrt mit kontinuierlichem, aber nicht zu steilen Anstieg auf glattem Asphalt. Ich passierte zwei Wasserfälle und der dichte Regenwald bot angenehmen Schutz vor der Sonne. Auf Ian´s Empfehlung machte ich einen Ausflug zu einem Aussichtspunkt mit gutem Ausblick auf das umliegende Tal.

Anschließend machte ich mich auf einen Spaziergang durch den Regenwald und tauchte ein in die vielfältige Pflanzenwelt. Obwohl die Sonne hoch am Himmel stand, war es durch die hohen Bäume und den dichten Bewuchs fast dunkel unter dem Blätterdach. Und wen traf ich dort im dunklen Wald? Die Schweizer.

Ich muss noch immer in guter Höhe gewesen sein, denn am nächsten Morgen war es tatsächlich so kalt, dass ich meine Fleece-Jacke und meinen Beanie tragen musste. Kleidungsstücke, die tief in meiner Packtasche vergraben waren und die ich das letzte Mal in Tasmanien getragen hatte. Ich steuerte Richtung Grafton, um meine Nahrungsvorräte aufzustocken. Dringend notwendig, denn es fanden sich nur noch Nüsse und Rosinen in meinem Vepserbeutel und ich konnte beides nicht mehr sehen. Das machte die finalen dreißig Kilometer etwas mühselig. Am Ortseingang grüßten mich die Schweizer aus ihrem Camper Van. Es war die letzte Begegnung diesmal.

Mit riesen Kohldampf nahm ich mir die Zeit für ein ausgiebiges Mittagsmahl am Fluss, während um mich herum die farbenprächtigen Papageien umherflogen. Die bunten Vögel können eine ganze Menge Krach machen sei bemerkt. Es standen nun längere Distanzen zwischen Ortschaften an und ich musste wieder ein Auge auf meine Wasservorräte legen, um Durststrecken zu vermeiden. Sprichwörtlich.
Nachdem ich Murray kontaktiert hatte, fasste ich außerplanmäßig Brisbane ins Auge. Zum Glück sind meine Pläne in der Regel alles andere als in Stein gemeißelt, sofern ich meine Vorhaben überhaupt als Pläne bezeichnen kann. Zuvor wollte ich die verkehrsreiche Gold – und Sunshine Coast um jeden Preis vermeiden, aber als Murray einen Fahrradweg in die Stadt erwähnte musste ich nicht lange überlegen. Es war während meiner ersten Solo-Tour (solo – das klingt immer so besonders und ich muss jedes Mal schmunzeln, wenn jemand für sich beansprucht solo und am besten noch unsupported unterwegs zu sein. Hartgesottene Radler diese unsupported solo Abenteurer…)als Radreisender in Neuseeland, als wir in einem kleinen Hostel auf der Südinsel aufeinandertrafen.
Eine lange, gerade und langweilige Straße führte mich nach Casino. Spät am Tag erreichte ich die Ortschaft Lismore. Die Sonne knallte noch immer ordentlich vom Himmel und ich erfrischte mich mit einer Ladung Wasser in einer öffentlichen Toilette – Kein Kompostklo. Ein merkwürdiger Zeitgenosse querte des Weges und palaverte daher, wie er für Modenschauen in Italien gearbeitet hat und mit der berühmten Twiggy. Aha. Erinnert mich ein bisschen an den Kerl in Samoa, der Mike Tyson sein Tattoo gestochen haben soll. Wenigstens kennt man Mike Tyson…Twiggy?!
Die Hitze kostete ganz schön Körner und ich war platt für den Tag. Noch musste aber ein Schlafpöatz gefunden werden. Dankenswerterweise wartete ein langer, steiler Anstieg am Ortsausgang. Genau was man zum Ende eines ohnehin schweißtreibenden Tages braucht.
Nach gefühlten Stunden kam ich an einer perfekten No-Camping Picnic Area vorbei. Für mich nahezu eine Einladung zu campen, da diese Schilder maßgeblich Camper Van-Leute abschrecken sollen. Für den Fall, dass tatsächlich jemand vorbeischaut, so wird nach Autos auf dem Parkplatz Ausschau gehalten und nicht nach Radfahrern, versteckt im Zelt und in den Büschen.

Am nächsten Morgen wurde ich für die vorabendlichen Anstrengungen belohnt. Während ich in der frischen Morgenluft entlang des Bergrückens radelte, erhob sich zu meiner Rechten die Sonne am Horizont und färbte die im Nebel liegenden Täler in ein gelb-oranges Licht. Was für ein Anblick. Was für ein großartiger Start!

Ein schwül-heißer Tag. Auf und ab über unzählige Bach- und Flusstäler durch tropischen Regenwald. Bis ich Nimbin erreichte, das gerade erwachte – Es war Tag der Zeitumstellung. , was mich dieser Tage wenig kümmert. Der Lauf der Sonne bestimmt meinen Rhythmus. Hell ist wach, dunkel ist Schlafen. Fertig aus. gönnte ich mir die Morgenatmosphäre unter den alternativen Zeitgenossen und beobachtete die Szenerie während ich frisch gebackene Butter-Croissants und köstlichste Zimt-Donuts verdrückte.

Es geht doch nichts über ein zweites oder drittes Frühstück.
Von Nimbin sauste ich hinunter zum Fluss Tweed, entlang welchem ich in Richtung des unausprechlichen Ortes Murwillumbah fuhr. Um mich herum ragten steile Klippen empor. Die Überreste eines Vulkans. Kein WUnder, dass mich diese Gegend so sehr an Kauai erinnerte. Einzig die mit Mangos übersäte Straße fehlte. Immer wieder erwischte ich mich dabei, wie ich den auffallenden Mount Warning ins Auge fasste, der spitz und steil gen Himmel emporragte. Captain Cook taufte den Berg allerdings nicht direkt nach seinem Aussehen, sondern als Landmarke, um an die gefährlichen Gewässer entlang der Küste zu erinnern.

Müde und erschöpft von der schwülen Hitze, hielt ich in der Ortschaft Uki und kontaktierte ich kurzerhand Margy und Lindsay, die im M-Ort wohnten. Eigentlich wollte ich an diesem Tag viel weiter fahren, sodass ich am nächsten Tag Brisbane erreichen würde. Meine Pläne…Zum Glück lernte ich so die viel-bereisten Rad-Enthusiasten kennen. Viele sehen mich ja als weitgereisten Radler, aber diese beiden spielen in einer ganz anderen Liga. Irgendwie ausgelaugt, aber glücklich eine weitere Warmshower-Erfahrung genießen zu können erreichte ich das Haus meiner Gastgeber am Nachmittag. Ich wusste ich bin am rechten Fleck, als ich das groß an die Garage gemalte Fahrrad erblickte.

Obligatorisch unterhielten wir uns groß und lang über unsere Radabenteuer und neue, mögliche Destinationen. Die Liste von Lindsay und Margy ist lang und wächst zusehends, wenn man die Ideen für eine mögliche Tour allein in diesem Jahr durchgeht. Nicht zu unwahrscheinlich ist nun der Pamir-Highway. So war ich froh meine Erfahrungen über dieses einzigartige Abenteuer teilen zu können. Zum Abendessen hatten wir eine Auswahl an frischen Salaten, geröstetem Gemüse und zur Krönung selbstgemachte Bananen-Cashew-Kokosnuss Eiscreme mit Mango. Mein Tagebucheintrag für diesen Tag endet mit den Worten: I’m going to bed a happy man. (Ja, ich schreibe in Englisch).

Am kommenden Tag nahm sich Lindsay meines Rades an und prüfte alles durch. Neben einem neuen Flaschenhalter, brachte er noch einen zusätzlichen an der Unterseite des Rahmens an. Der andere Halter musste ausgetauscht werden, da er wohl auf irgendeiner Schotterstraße gebrochen war. Jetzt habe ich sogar grüne Radflaschen, die zu meinem grünen Rad passen. Fühlt sich fast so gut an wie ein neues Rad – Ohne das ich je ein neues Rad besessen hatte.

Anschließend unternahmen wir einen Ausflug zum Cabarita Beach um uns im Meer abzukühlen und etwas zu entspannen. Es war mal wieder ein Kampf mit den Wellen und gegen die starke Strömung aber es war eine willkommene Abwechslung zur Strampelei. Eine Menge Surfer waren im Wasser und genossen den herrlichen Point Break der durch einen Hügel kreiert wird, von welchem man wiederum einen guten Überblick über das Geschehen in den Wellen bekommt. In wenigen Wochen wird man von dort einen hervorragenden Blick auf die vorbeiziehenden Wale bekommen, wie Margy mir erzählte. Leider bin ich etwas zu früh, so wie damals in Hawaii. Aber eines Tages werde ich auch das auf meiner Liste abhaken können.
Zurück zuhause aßen wir ein leichtes Mittagessen, tranken Kaffee und schauten uns die finalen Kilometer der Flandern Rundfahrt an. Was machen Radfahrer auch anderes, wenn sie nicht gerade selbst im Sattel sitzen?! Burritos zum Abendessen. Yeah! Vor allem weil Margy lange Zeit in einem mexikanischen Restaurant gearbeitet hat. Entsprechend köstlich war das Ergebnis. Ich langte in die vollen und konnte dennoch nicht alles aufessen. Wer mich kennt, weiß dass es ein ausgiebiges Mahl gewesen sein muss. Noch nicht mal mehr Platz für Nachtisch.
Während wir frühstückten, teilte Lindsay allerlei Tipps und Tricks für Reparaturarbeiten am Rad und ich hoffte inständig keinen der Ratschläge in Praxis gebrauchen zu müssen. Margy kontaktierte ihre Schwester in Cooktown und organisierte somit eine weitere Schlafgelegenheit, sobald ich es soweit in den Norden geschafft hatte. Das wird mir als exzellenter Ausgangspunkt für mein Cape York Abenteuer dienen. Danach startete ich gemeinsam mit Lindsay auf meine Tour gen Norden auf einer ruhigen, landschaftlich schönen Strecke. Bis Chillingham konnte ich Lindsay’s Gesellschaft genießen, dann hieß es aufwärts zur Grenze von Queensland.
Dichter, tropischer Regenwald bot mir abermals erfrischenden Schatten an einem heißen Tag. Nach einem steilen Schlussanstieg markierte ein Schilderwald die Grenze zu dem einzigen Staat Australiens, den ich noch nicht besucht hatte. Mein Lieblingsschild drohte mit einer Geldstrafe in Höhe von 44.000 Australien Dollar, falls man Hasen einführt. Ein ansehnlicher Preis für ein Schlappohr. Margy erzählte mir zuvor, dass man in Queensland nur Hasen besitzen darf, wenn man entweder ein Zauberer ist, oder einen Zirkus betreibt. Kein Scherz.

Ich unternahm einen Spaziergang zur Natural Bridge. Eine, wer hätte das gedacht, brückenartige Steinformation mit ein paar Wasserfällen. Weiter talwärts war wieder mal eine Picknick Area, die zum campen einlud. Ich sprang in den erfrischenden Fluss und eine indische Familie überließ mir einen vollgepackten Teller mit gebratenem Lamm-Reis. Am nächsten Tag würde es zu Murray und seiner Frau Rebecca gehen.

Brizzy, Brisvegas, Brisbane. Eine Großstadt, die ich gemieden hätte, wenn Murray nicht dort leben würde. Wir trafen uns im kleinen, neuseeländischen Geraldine. Es schüttete aus Kübeln und es war noch während der ersten Tage meiner Tour, dass mich das launische Kiwi-Wetter geschafft hatte. Glücklicherweise führte das dazu, dass ich ins kleine Hostel einkehrte und Murray kennenlernte.

Der Weg in die Stadt war ein ganz schöner Kontrast zu den vorrangegangenen Tagen. Zwar es auf einem Radweg, aber der führt beinahe parallel entlang des Freeways und entsprechend laut und unansehnlich ist die Szenerie. Aber letztlich brachte es mich sicher dahin wo ich wollte.

Dafür, dass ich erst gar nicht nach Brisbane wollte, verbrachte ich eine halbe Ewigkeit dort. Vier Nächte. Maßgeblich Rebeccas und Murrays Gastfreundschaft geschuldet. Es kostete mich alle Überwindung wieder aufs Rad zu steigen und nicht noch länger mit den beiden zu verbringen. Es begann mit einem fetten Willkommensessen, bestehend aus einem Bierdosengestopften Hähnchen. Etwas, das ich schon immer probieren wollte. Es folgte ein luftig-saftiger Joghurt-Limonen Kuchen. Wenn ich ehrlich bin, blieb ich nur wegen Rebeccas Kochkünsten.

Während der übrigen Tage gingen die beiden ihren Jobs nach und ich erkundete die Stadt auf den prächtig ausgebauten Radwegen. Ein Genuss für Radler und Läufer gleichermaßen. Die Abende verbrachten wir gemeinsam, Rebecca kümmerte sich um das leibliche Wohl und anschließend schauten wir die Netflix Comedy Brooklyn Nine Nine. Freitagabend waren wir bei Freunden eingeladen, die außerhalb in Hügeln Brisbanes leben. Natürlich wurde gegrillt. Sam und Leanne planen denselben Trip, wie ich. Allerdings im Geländewagen und nicht mit dem Rad. Highlight des Abends war eine Ausfahrt durch den Busch mit einem größeren ATV. Sam preschte die steilen, zerklüfteten Pfade hinauf als wäre es nichts und Murray und ich klammerten uns an der Ladefläche fest. Besser als Achterbahn. Ziel war ein Aussichtspunkt über die in der Ferne liegende, hell erleuchtete Stadt.
Samstags war Markt angesagt und natürlich nahmen wir die Räder. Wir labten an Bagels und schlürften Kaffee. Am Abend war Männerabend und Murray zeigte mir die Eat Street. Eine große Fläche vollgepackt mit Foodtrucks und Essensständen. Wie ein Jahrmarkt, nur mit Imbissständen. Nach einem letzten gemeinsamen, reichhaltigen Frühstück startete ich vollgepackt mit Kiloweise Essensvorräten und einem Lunchpaket von Rebecca in die Hügel westlich von Brisbane. Und somit begann das nächste Kapitel meiner Reise…Fortsetzung folgt.
