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Pamir

Wo ist eigentlich Tadschikistan

Das musste ich auch erstmal herausfinden, nachdem ich vom Radfahren und –reisen im Pamir-Gebirge gelesen habe. Der Traum des Radreisenden heißt es oft. Ich bin zurück aus der Höhe und kann das nun bestätigen! Ich betone hier mal Radreisende, denn der Rennradfreund wird dort keineswegs glücklich werden.
Der Hauptverkehrsweg, der Pamir Highway ist auf weiten Teilen eine klaffende Wunde aus Sand, Steinen, Schlaglöchern und eingefahrenen Waschbrettern. Wenn es nass wird, dann fährt man durch Matsch. Für mich das erste Mal abseits von Asphaltstraßen und in unbekannten Höhen. Abenteuer. Dafür lebe ich.
Nachdem Tadschikistan auf der Weltkarte ausfindig gemacht war, wurden die Flüge gebucht und halb-mitternächtliche Ausflüge in die Wüste der Emirate unternommen, um ein paar Radkilometer abzuspulen. In die Wüste aber nur, weil dort ein herrlich asphaltierter Fahrradkurs angelegt ist. Die frühe Zeit, um das Schlimmste der Hitze zu vermeiden. Bei 30 Grad ging es los und bei 45 Grad war ich meistens fertig – gute zwei Stunden später.
Meine Route in Tadschikistan sollte nur den Pamir Highway beinhalten, aber mit mehr Zeit, werde ich das nächste Mal hoffentlich auch die Regionen des Wakhan und Bartang Tals eingehender erkunden. So startete ich in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe und beendete meine unvergessliche Zeit im Pamir-Gebirge in der kirgisischen Stadt Osch.
In der folgenden Blog-Serie werde ich meine Erlebnisse in bekannter Manier schildern. Viel Spaß mit dem ersten Bericht!

Es ist 3 Uhr nachts. Ich stehe in der lauen Sommerluft vor dem Flughafengebäude der tadschikischen Hauptstadt Dushanbe. Ach du Schande, könnte man sagen. Mein vorab arrangierter Transport in das Yeti-Hostel ist nicht da. Kommt auch nicht mehr. In der Zwischenzeit wurde ich von unzähligen Menschen angesprochen, ob ich nicht ein Taxi bräuchte. Danke, nein. Nach einer Stunde des Wartens suche ich mir einen goldbezahnten Tadschiken (kaum jemand, der keine Goldzähne hat), der abnickt, als ich ihn nach dem Yeti Hostel frage. Der Beginn einer frühmorgendlichen Odyssey durch Dushanbe. Ich komme nicht umhin immer wieder an Ach du Schande, Dushanbe zu denken…

Es ist eine unfreiwillig ausgiebige Stadtrundfahrt. Wohlgemerkt im Dunklen. Wir halten bei jedem Menschen, der zu dieser Uhrzeit auf den Beinen ist. Ein Glück, dass gerade Ramadan ist und viele die Stunden vor Sonnenaufgang nutzen, um in der angenehmen Morgenluft einen Spaziergang zu unternehmen, oder die Energie des mitunter üppigen Fastenbrechens auszunutzen. Da ich mich naiver weise auf dasAbholarrangement verlassen habe, ist alles was ich weiß der Name des Hostels. Keine Adresse. Keine Telefonnummer. Wir fragen nach dem Yeti Hostel oder ob jemand Englisch spricht. Russisch oder tadschikisch ist angesagt. Meine Lernkurve der Sprache ist in diesen Minuten steil. Wir fahren, drehen, biegen ab, drehen wieder, fahren zurück. Ohne ansatzweisen Erfolg. Wir sind beide müde und es ist mittlerweile hell. Mehr Autos auf der Strasse, aber weniger am Strassenrand, denn es wird heiß.
Wir halten in einem Hotel mit Internetanschluss. Internet geht morgen wieder. Vielleicht. Wenigstens spricht der Rezeptionist ein paar Brocken Englisch und ich werde belehrt, dass man in Tadschikistan immer die Adresse oder eine Landmarke in der Nähe wissen sollte, wenn man irgendwo hin möchte. Lektion gelernt.


Nächster Stopp. Der letzte. Wir fahren in einen Hinterhof. Bislang machte der hagere Mann mit Goldzahn und dem verschmutzten, schwitzigen, weißen Feinrippunterhemd einen vergleichsweise vertrauenswürdigen Eindruck. Nach der Irrfahrt tat er mir vor allem Leid. Trotzdem war ich angenervt. Ich wolle ankommen. Duschen, essen, schlafen und mich entspannen. Das Rumgegurke, ständige anhalten, nachfragen, weiterfahren, umdrehen trieb mein Stresslevel in die Höhe.

Die Nacht hatte sich längst verabschiedet. Die Sonne stand am Himmel und trieb die ohnehin warmen Temperaturen weiter in die Höhe. Ich verblieb im Auto und sah meinem gestressten Fahrer hinterher. Ich ahnte was kommen würde und überlegte nicht lange. Eine Verhandlungsfposition hatte ich ja auch nicht. Ich wollte ankommen, egal wo. Also willigte ich ein bei der tadschikischen Familie zu übernachten. Schnell war ich regelrecht euphorisch. Ist so eine Situation nicht genau das, was ich an diesen Reisen so liebe? Das Ungeplante, Unvorhergesehene und aus der Not Entstandene. Zumal das Geld bei dieser Familie sicherlich besser aufgehoben wäre, als bei irgendeinem Hostel.

Vater, Mutter, Tochter, Sohn, Baby, Freunde und Nachbarn der Familie nahmen mich mehr als herzlichst auf. Sofort wurde ich umsorgt, doch wollte ich nach dem ganzen Hickhack einfach nur meine Ruhe. Die Sprachbarriere machte die Kommunikation keineswegs leichter. Niemand in der Familie sprach Englisch und ich konnte nicht ein einziges Wort auf tadschikisch. Das sollte sich schnell ändern und meine Zeit in diesem wundervollen Land nachhaltig prägen.

Ich bekomme ein eigenes Zimmer und verschlafe erstmal den heißen Vormittag, um mich von den Strapazen der nächtlichen Odyssee zu erholen.

Das tadschikische Äquivalent zum Esstisch: Der Essteppich.


Tadschikistan ist ein muslimisch geprägtes Land. Auch meine Gastfamilie fastet gerade im Ramadan. Dennoch bieten Sie mir an etwas zu Essen zuzubereiten. Durch die vergangenen Monate in Abu Dhabi fühlt es sich mehr als unangenehm an etwas zu Essen zu verlangen. Auf der anderen Seite zahlte ich ja auch für alles und in diesem Moment überwog der Hunger jegliche Rücksicht auf religiöses Brauchtum. Abgeschwächt wurde mein schlechtes Gewissen durch die nicht wenigen Menschen, die auch im öffentlichen Raum aßen und tranken. In den Emiraten würde solches Verhalten sogar bestraft werden – auch bei nicht-Muslimen.

Weite Straßen und Busse mit Oberleitung. Der Sozialismus lässt grüßen.


Ich bekomme landestypisch selbst gebackenes Fladenbrot, Kirschmarmelade, Tee und Süßigkeiten. Das was gerade da ist. Schließlich war ein Besucher nicht vorgesehen. Es waren immer noch ein paar Dinge zu tun, bevor ich wirklich aufbrechen konnte. Zuvorderst die Beantragung der GBAO Erlaubnis, die man benötigt, um durch die autonome Provinz im Osten des Landes zu reisen. Ich musste noch Geld abheben und hätte auch gerne noch ein paar Infos im Internet recherchiert. Alles Dinge, die einfach gewesen wären, wenn ich im Hostel mit englischsprachigem Personal gewesen wäre. Aber solche Erlebnisse prägen eine Reise eben.
Also ging es mit dem Sohn und seinem Kumpel in die Stadt, um ein Internetcafe zu finden. Internetcafe! Wer erinnert sich?!

Gesucht, gefunden. Allerdings sollten wir doch bitte später wiederkommen, da das Internet noch immer nicht funktioniere. Ich war wie gelähmt. Warten. Nicht meine Stärke.

Das Amt für die GBAO Erlaubnis war erst am nächsten Tag geöffnet. Also montierte ich zunächst mein Rad und stellte fest, dass ich doch tatsächlich meine Luftpumpe vergessen hatte. Die böse Vorahnung beschlich mich bereits im Flugzeug und konnte mich nach diesem wahrhaftig holprigen Start auch nicht mehr umhauen.

Jede Straße eine Prachtstraße.


„Dann kauf halt eine neue“, mögen die Meisten jetzt denken. Aber selbst in der Hauptstadt gibt es kein Fahrradgeschäft. Auf zum Basar! Dort gab es zahlreiche Stände die Fahrradteile verkauften. Und simple Luftpumpen. Mit simpel meine ich in diesem Zusammenhang 1 Kilo schwer und 35 cm groß. Anstatt meiner zierlichen und vor allem leichten Pumpe in Deutschland, sollte ich die kommenden Wochen dieses klobige Monster mit mir rumschleppen. Ironisch, wenn man bedenkt, dass ich wirklich an allem anderen versucht habe Gewicht zu sparen. Nun denn. Wie ein 100 Kilo Sack in der Mitlife-Crissi, der 12.000 Euro für das neueste Carbon-Rennrad ausgibt.


Dieser erste Tag war so unfassbar lang. Aber so konnte ich schon Lebensmittel für den Trip einkaufen. Zusätzlich zu zwei Kilogramm Couscous aus Deutschland, einer Packung Haferflocken, getrockneten Aprikosen und Pflaumen, stattete ich meinen Fresskorb mit Brühwürfeln, Tomatenmark Kakaopulver und Kaffee aus. Die erste Tour seit Ewigkeiten ohne Erdnussbutter und Honig.


Da ja wie bereits erwähnt gerade der Fastenmonat Ramadan war und ich bei einer muslimischen Familie wohnte, war Essen natürlich ein zentrales Thema. Den Abend verbrachte ich gemeinsam mit der Familie und ein paar Freunden im Vorhof und Garten des Hauses. Dieser Bereich ist mit einem Teppich ausgelegt, welcher als Wohn- und Essbereich dient. Hier spielt sich das Gros des Familienlebens ab. Dort warteten wir hungrig und gespannt auf den Moment des Fastenbrechens.

Die Uhr. Wie lange noch, bis zum Fastenbrechen?


Als Gast wird man wie ein König behandelt. Von meinem gepolsterten Thron aus Matten und Kissen beobachtete ich halb sitzend, halb liegend wie Mutter und Tochter Getränke und Abendessen auf einer Tischdecke auf dem besagtem Teppich anrichteten. Den unvorstellbaren Durst stillten die Fastenden zunächst mit einem kühlen an Eistee erinnernden Getränk. Es gab so etwas wie Kefir mit frischen Kräutern, Unmengen an Fladenbrot und eine riesige Platte deftiges Reis-Gemüse. Als Nachtisch gab es das allgegenwärtige Obst der Region: Wassermelone.

Vater, Sohn und Nachbarsjunge schneiden Fleisch.


Am folgenden Tag beantragte ich das GBAO Permit und machte einen ausgedehnten Spaziergang mit einem Freund der Gastfamilie. So lernte ich nicht nur dir Stadt besser kennen, sondern auch noch mehr nützliche Vokabeln. Wir kehrten in ein Cafe ein und missbrauchten die Bedienung als Übersetzer. So klärten sich viele Fragen, die vorher nicht mit Händen und Füßen aufgeklärt wurden. Neben mir befanden sich noch mehr Touristen und ein iranischer Diplomatensohn in dem Cafe und nach zwei Tagen tadschikisch Sprachkurs war es angenehm wieder mit Menschen zu reden, die einen ohne Probleme verstehen. Die letzte barrierefreie Unterhaltung für die kommenden zwei Wochen.

Die Frau des Hauses bei der Zubereitung des Abendessens.


Meinen letzten Tag in Dushanbe begann ich mit einem frühmorgendlichen Spaziergang, um mir die Zeit zu vertreiben bis ich mein GBAO-Permit abholen konnte. Da ich gerne mal neue Wege gehe, dauerte es etwas länger als geplant. Radikal verlaufen trifft es eher. Jetzt kannte ich die Stadt wirklich. Zurück in meinem mittlerweile zweitem zuhause wartete ein großer Sack voller frisch gebackener Brötchen („Kulchor“) auf mich.
Ich traf letzte Vorkehrungen zur Abreise, fuhr mit dem Vater meine Reiseerlaubnis abholen und verabschiedete mich anschliessend ausgiebig. Auf ins Abenteuer!

Melonen gab es immer und überall.


Wie bereits in anderen Reiseberichten erwähnt, führten die ersten 20 Kilometer an einer verkehrsreichen Schnellstraße entlang. Der Seitenstreifen war allerdings angenehm breit. Schnell befand ich mich inmitten schönster Sommerlandschaft. Nach sechs Monaten in der kargen Einöde der arabischen Emirate war das eine Reizüberflutung in allen Belangen. Die Obsternte wurde an Strassenständen dargeboten und ich wurde immer wieder enthusiastisch begrüßt. „Hello, how are you, what’s your name?“. Diese Standardphrase wurde ab und zu durch „where a you from“ ergänzt, sollte mir aber schon bald extrem auf die Nerven gehen. Denn wenn man das in jedem Dorf 10 Mal hört, hat man dann auch kein Bock mehr. Zumal das die einzigen englischen Wörter waren, die gesprochen wurden.

Endlich unterwegs. Erste Eindrücke der fabelhaften Natur Tadschikistans.


Die rollenden Hügel verwandelten sich in fließendem Übergang in schweißtreibende Anstiege. Es war heiß. In meinem Rücken brauten sich dunkle Wolken zusammen, doch ich begrüßte den Rückenwind. Am späten Nachmittag holte mich das Unwetter ein und ich erlebte den ersten tadschikischen Regenguss. Den ersten richtigen Regenguss überhaupt, seitdem ich Deutschland im Januar verlassen hatte.

Solider erster Übernachtungsplatz.


Ich wollte die Gelegenheit des Schauers für eine Kaffeepause nutzen, doch mein Kocher spielte nicht mit. Mittelschwere Katastrophe, dachte ich mir. Nach der vergessenen Pumpe die zweite Ernüchterung gleich zu Beginn.
Erfahrungsgemäß sollte ich die ersten zwei Tage immer etwas weniger Fahren als ich könnte, um in den Reisemodus zu kommen. Da ich spät gestartet war, passte das ganz gut in den Rhythmus und ich suchte mir am frühen Abend meinen ersten Campspot.
Abseits des Highways (der zu Beginn am ehesten einer Landstraße ähnelte), an einer ruhigen Ortszufahrtsstrasse schlug ich mein Lager auf. Schon am ersten Tag einen tollen Campspot erwischt, umgeben von Wiesen, Bergen und Bäumen. Getrübt wurde mein Glück nur durch den immernoch nicht funktionierenden Kocher. Nachdem ich tagsüber auch hauptsächlich von Brot gelebt hatte, hing es mir bereits abends zum Hals raus. Das für die nächsten zwei Wochen…?

Der Pamir-Highway nahm allmählich Gestalt an. Und die Berge wuchsen immer weiter in die Höhe.


Der nächste Tag war dann der Start in die richtige Natur Tadschikistans. Wahnsinnige Ausblicke wo ich nur hinsah. So lief das Radfahren nebenher. Die Straße wurde allerdings auch zusehends schlechter, aber da ich darauf eingestellt war, hatte ich zu Anfang sogar Spaß bei der holprigen Strampelei. Allzulange hielt die Abenteuer Euphorie dann jedoch auch nicht an und der Spaß wandelte sich in Sorge, wie ich unter solchen Bedingungen noch über 1000 Kilometer abspulen sollte.

Abenteuermodus.


Hoffnungsschimmer waren jedesmal die asphaltierten Abschnitte durch oder zwischen Dörfern. Nach einem besonders fiesen Stück radelte ich an einer Ansammlung von Häusern vorbei, bei der eine reich gedeckte Vespertafel aufgerichtet war, um welche einige beleibte Herren in Anzug saßen. Prompt wurde ich heran gewinkt und durfte mich mit Tee, frischen Beeren und Melone stärken. Natürlich war man höchst interessiert an meinem Vorhaben. Die Runde schien auf wichtigen Besuch aus der Hauptstadt zu warten.

Gemälde aus Stein.


In einem anderen Ort haben die Kinder mich so sehr gefeiert, dass ich sogar angeschoben wurde (wahrscheinlich ging es bergauf?). Später erreichte ich den ersten Militärcheckpoint, von welchen soviele Horrorgeschichten im Internet kursieren. Ich war auf alles gefasst und hoffte für das Beste. Und schon schien sich alles zu bestätigen. Eine ominöse Kopie wurde verlangt. Ich wurde zurück geschickt zu einer kleinen Kaschemme die ich wenige hundert Meter zuvor passiert hatte.
Drin saß ein Mensch mit Kopiere, der sogleich wusste was zu tun war. Ich stellte mich auf irgendeinen wahnwitzigen Preis ein, jedoch wurde zu meiner Freude keinerlei Geld verlangt. Mit besagter Kopie konnte ich dann tatsächlich ohne weiteres Mucken passieren. Erste Hürde genommen.
Was folgte war ein absolut isolierter Abschnitt von Straße. Ich hätte schwören können auf dem falschen Weg zu sein. Keine Menschenseele kreuzte meinen Weg. Kein Auto, Nichts. Der Weg aus Sand und Gesteinsbrocken tat sein Übriges. Ich radelte weiter.

Immer häufiger sah der Hauptverkehrsweg zwischen Tadschikistan und Kirgisitan so aus.


Zeit für einen Kaffee! Zuvor hatte ich es doch tatsächlich bewerkstelligt meinen Kocher in Gang zu bringen! Eine Bushaltestelle in der Mitte vom Nirgendwo erschien mir als ein geeignetes Plätzchen. Aber wie es mir noch häufig passieren sollte hier, kam doch noch jemand vorbei und leistete mir Gesellschaft. In diesem Fall waren es zwei eher unheimliche Gestalten und ich fühlte mich nicht so ganz wohl bei meiner Pause. Am Ende war es wohl doch nur ehrliches Interesse, aber gerade durch die Sprachbarriere schätze ich bestimmte Aussagen doch etwas anders oder vorsichtiger ein, als sie letzten Endes tatsächlich gemeint sind.


Die nächste Ortschaft war die letzte die ich an diesem Tag passieren sollte und das erste mal auf einer Radreise wurde ich von einem wirklich großen, fiesem Köter verfolgt und aggresiv angebellt. Ich hatte richtig Angst, wenn auch nichts passiert ist. Danach war ich so voller Adrenalin, ich hätte noch 100 Kilometer weiterfahren können. Ein vermeintlich herrlicher Schlafplatz lies mich aber dann doch rasten.

Idyllisch. Auf den ersten Blick…


Vermeintlich, da es mitten in der Nacht plötzlich anfing zu bellen. Lauthals und ohne Unterbrechung. Natürlich wusste ich genau, dass es dieser vermaledeite Köter aus dem vorigen Ort war. Was nun? An Schlaf war jedenfalls nicht zu denken. Nach zwanzig Minuten fasste ich den Entschluss und war Kampfbereit. Kopflampe auf, schnell ein paar Stein gefasst und ab die Post. Ich denke das Licht hat den Hund mehr geschockt, als meine Steine. Jedenfalls ist er mit Affenzahn abgehauen und ward nicht mehr zu sehen.


Neuer Tag, neue Energie, neue Abenteuer. Und somit auch ein weiterer Tag auf grässlichster Straße. Wenn man das so überhaupt nennen darf. Ich würde es höchstens als Weg bezeichnen. Und schon garnicht als „Highway“. Wenn schon dann als direkte Übersetzung: Es ist ein (sehr) hoch gelegener Weg. Ich behaupte wir haben in Deutschland keinen Feldweg der schlechter beschaffen ist, als die Hauptverkehrsader dieses Landes. Wenigstens konnte ich auf den flachen Stücken ganz gut Meter machen.

Wer nachts von bellenden Kötern geweckt wird.


Heute war es dann auch soweit und ich traf die ersten anderen Radreisenden. Allerdings aus mir entgegenkommender Richtung. Zuvor ging ich shoppen und ergatterte Snickers und einen Block Butter in den spärlich bestückten Regalen.


Das Pärchen war in Tibet gestartet und hatte entsprechend viel Gepäck dabei. Wenn ich mich auch zunächst darüber freute mal wieder ein paar Worte Englisch zu reden, so wäre ich am liebsten weiter in Frieden und Unwissenheit vor mich hingeradelt. Da mein Zeitfenster ausreichend angelegt war und ich auch keine Eile verspürte irgendwo anzukommen, stieg ich jeden Tag aufs Rad um das Fahren und die Natur zu genießen.
Nachdem die Zwei mir von nahenden Unwettern und schlimmen Bedingungen auf dem vor mir liegenden (ersten) Pass erzählten, wurde ich aus diesem Relax Modus gerissen und schaltete in den Leistungsmodus. Ich wollte den Berg erklimmen, bevor es zu schlimm wurde. Und so ungläubig ich die Neuigkeiten über das Unwetter aufnahm, so schnell verdunkelte sich auch schon der Himmel nach der Weiterfahrt. Keine Chance dem Regen zu entkommen dachte ich mir. Allerdings trieb mich ein strammer Rückenwind die holprige Straße voran.

Der erste Pass lag beinahe hinter mir. Das schöne Wetter leider auch.


Das Abenteuer ging wie gewohnt weiter. Eine Flussquerung. Eiskaltes Wasser weckte die müde Glieder wieder auf. Eine kurze Pause am Wegesrand und eine neue Bekanntschaft mit einem älteren Crossmotorradfahrer. Natürlich aus Deutschland. Ziel: Ulan Bator.
Mittlerweile war der Himmel pechschwarz und der ein oder andere Donnerschlag lies mich zusammenzucken. Es frischte auf. Noch immer kein Regen. Ich strampelte bergan.

Was harmlos und schön erscheint, war ein einziger Kampf mit Matsch, eisigem Wind und der immer lauter werdenden Stimme in meinem Kopf („was zur Hölle machst du hier?!).


Der kalte Wind kam nun von vorn und erschwerte das Klettern zusätzlich. Ich musste immer wieder Pausen einlegen. Der reißende Gebirgsfluss neben mir erinnerte mich an die raue Gewalt der Natur und wirkte im Zusammenspiel mit den Wetterbedingungen noch einschüchternder.
Und plötzlich strahlte der Himmel wieder blau. Ich konnte meine warmen Sachen wieder abwerfen und das Sommergefühl war wieder da. Das Unwetter schien sich ein anderes Tal ausgesucht zu haben. Etwas beschwingt radelte ich weiter. Vielleicht zu beschwingt. In diesem Tempo würde ich es nicht schaffen, der Anstieg war noch zu lang und die Straße zu schlecht, um das Durchzuhalten.
Ich nahm etwas raus. Das Wetter schlug wieder um. Minütlich wurde es ungemütlicher. Diesmal würde ich weniger Glück haben. Eine Bushaltestelle offenbarte sich mir, just bevor die Wolken brachen. Ich packte mich wieder warm ein und stärkte mich an Butter-Kakao-Brot und Kaffee. Energie in Reinform.
Und mal wieder ein Motorradfahrer, der sich mir in robuster Regenmontur vorstellig machte. Deutsch natürlich. Er bezeichnete die Bedingungen, sehr treffend wie ich finde, als „herb“.
Nun denn. Vom Kaffeetrinken würde ich niemals vorankommen. Auf ins Getose, dafür war ich ja schließlich hier!
Die Straßenbedingungen wurden zusehends schlechter. Noch schlechter. Die beiden Radreisenden, die ich früher getroffen hatte, warnten mich vor den schlammigen Bedingungen. Sie sagten noch: “Wow, ist dein Rad schön sauber!” Jetzt nicht mehr.
Nicht, dass es nur bergan ging und die Straßenbeschaffenheit ohnehin miserabel war. Zusätzlich erschwerte nun Matsch das Vorwärtskommen.
Der Gipfel kam nicht näher und gerade, als ich dachte es könne nicht mehr schlimmer werden, kamen zwei Hunde den Hang hoch, um mich kläffend zu verfolgen. Ich verlor das Gleichgewicht, kam nicht rechtzeitig aus den Pedalen und lag im Matsch. Spätesten jetzt war ich nicht mehr als ein Häufchen Elend. Das dachten sich scheinbar auch die Hunde und drehten verwirrt ab.
Ich war nur dreckig, sonst war alles heil und ich konnte den mühsamen Weg gen Gipfel fortsetzen. Es schien jedoch, als hätte ich den Tiefpunkt überwunden. Der Regen lies langsam nach und selbst die Wolken gaben den Blick auf den blauen Himmel frei.
Mit neuem Mut ging es weiter und weiter. Nach jeder Kehre hoffte ich das Ende dieser Tortur zu erblicken. Aber die Straße war zu verwinkelt, als das man den Gipfel erkennen könnte. Mein Höhenmesser sagte mir noch einige Höhenmeter voraus.
Ich sorgte mich um einen Schlafplatz. Und hätte ich einen guten Spot gefunden, so wäre ich verdammt gewesen, da ich nochmal Wasser brauchte…Das Schicksal wollte mich wohl über den Berg bringen.
Der Schlamm war im oberen Abschnitt um ein Vielfaches behindernder. Er klebte an den Reifen, in der Kette, in den Pedalen und Bremsen. Überall!
Jetzt verstand ich langsam was die beiden Tibet-Radler mit schweren Bedingungen meinten: Mein Rad transportierte mehr Matsch und Schlamm, als Gepäck. Ganz unabhängig von der Steigung musste ich mir jeden Meter mit maximaler Kraftanstrengung erkämpfen. Zwischenzeitlich war ich gezwungen abzusteigen und zu schieben, weil ein Vorwärtskommen schlicht unmöglich war. Zu tief der Matsch. Das beschleunigte mein Vorhaben natürlich nicht wirklich.
Ich gegen den Schlamm, den Berg und das Siff-Wetter…Nicht ganz fair. Die Sonne näherte sich unaufhaltsam der wundervoll schneebedeckten, schier unendlichen Bergkette. Die Farben und das Panorama entschädigten etwas für die Torturen dieses Tages. Etwas.
Mit dem letzten Funken Tageslicht erreichte ich tatsächlich den Gipfel. Kein Gedanke an eine Abfahrt. ENndlich Anhalten. Meine Kräfte waren am absoluten Ende. Kein Saft mehr in den Beinen und erschöpft wie noch nie auf einer Tour – Sieben Marathons und ein Ironman haben mich nicht so hingerichtet. Da hatte ich meine Herausforderung.
Ich schleppte mich hinter eine der zerfallenden Militärbaracken und schlug im mittlerweile eisigen Wind mein Zelt auf. Natürlich wusste ich, dass die Nacht kalt werden würde, aber an Abfahren war absolut nicht zu denken. Eher würde ich stürzen, als weit genug runter zu kommen, um ein besseres Lager zu finden. Es war ohnehin schon ein elendig langer Tag gewesen.

Bushaltestelle auf 3250m. Kein Bus und auch noch kein Gipfel in Sicht. Immerhin ein wenig Schutz vor den Elementen. Butter und Kakao.


Lager auf 3600 Höhenmetern. Ein guter Test für meine Höhentauglichkeit. Die war mir aber ziemlich egal. Wichtiger: Essen! FRESSEN vielmehr. Alles was da war und schnelle Energie lieferte. In der Zwischenzeit heizte ich den Ofen an. Dessert vor Hauptgang. Du kannst es dir vorstellen…Dann: Schlaf!
In der Nacht flatterte das Zelt gehörig. Regen peitschte und besorgte mir trotz Erschöpfung einen unruhigen Schlaf. Der nächste Morgen. Kalt. Der Wind. Noch kälter.

Durchgefroren von der Nacht auf eine noch kältere Abfahrt. Oder das, was man auf dem Pamir-Highway Abfahrt nennen kann.


Der Morgen war verglichen mit den vorangegangenen Tagen ungewöhnlich grau. Und kalt. Auf gar keinen Fall hatte ich Bock auf Radfahren. Keine Motivation in die windig-nasse Kälte zu treten. Practice what you preach: Raus aus der Komfortzone. Das Schicksal des Radreisenden.
Ein schneller Kaffee um das Letzte bisschen Leben in mir zu erwecken. Die andere Seite des Berges war nur im oberen Teil noch matschig. Der Rest war sogar weitesgehend (eher schlecht, als recht) asphaltiert. Wieder mal eine Bushaltestelle, die mir als optimaler Frühstücksspot diente. Etwas geschützt von den Elementen. Wo ich auch hinblickte, stürzten Wasserfälle die schroffen Bergklippen herab. Ich hatte allerdings wenig Augen für meine Umgebung. Ich wollte nur runter und war eher darauf Bedacht Schlaglöcher, unasphaltierte Straßenabschnitte, Steinbrocken und andere potenzielle Hindernisse zu erkennnen.
Ich erreichte einen weiteren Militärstützpunkt. In der warmen Stube belächelten mich die beiden Soldaten, als ich Ihnen verständlich machte, dass die Nacht auf dem Berg arschkalt war. Eine Visitenkarte für ein Homestay in der nächsten Ortschaft Khala-I-Khumb wurde mir in die Hand gedrückt. Ich fand den Schuppen nicht, wäre aber sicher dort eingekehrt und hätte einen Ruhetag eingelegt.
Die Stadt machte auf mich einen unfreundlichen Eindruck. Vielleicht war es nur das Wetter und der beschwerliche Tag, der vorangegangen war, aber die Entscheidung weiterzufahren fiel mir leicht.
Der Himmel blieb grau, aber der Regen ebbte ab und es war wieder angenehm warm. Ich verstaute die Regenbekleidung in der Hoffnung sie nicht mehr zu benötigen.
Ich nutzte die Gelegenheit, um die Spuren der letzten Nacht zu beseitigen. Will heißen Ordnung in meinen Packtaschen wiederherstellen, sowie Zelt trocknen und das Gröbste am Rad reinigen.

Einen Steinwurf und eine Flussquerung entfernt: Afghanistan.


Erst in diesem Moment, wurde mir klar, dass sich auf der anderen Seite des Flusses Afghanistan befindet. Einen guten Steinwurf entfernt konnte ich Kinder Fußball spielen sehen. So nah und doch so fern. Die Grenznähe wurde ebenfalls durch verstärktes Auftreten und patrouillierenden Soldaten verdeutlicht. Meine Aufmerksamkeit galt an diesem Morgen jedoch mehr dem Auffinden eines geeigneten Platzes, um mich auszuruhen.
Als die Sonne wieder knallte und ich doch wieder einige Kilometer gemacht hatte, nahm ich halb aus Neugier, halb aus Verzweiflung, meinen Mut zusammen und fuhr einfach eine Hofeinfahrt hoch. Bereits zuvor war ich an ähnlichen Einfahrten vorbeigefahren und auch wenn man keine Schilder erkennen konnte, so glaubte ich immer es seien Teestuben, aber eben ohne wirklich sicher zu sein.
Und ich lag richtig. Mit Händen und Füßen und ein paar zwischengeworfenen tadschikischen und russischen Vokabeln trug ich mein Anliegen vor. Hunger und Schlafen. Das erste war kein Problem, prompt wurden Tee und eine vor Fett triefende Platte Eier und Würstchen aufgetischt. Man könnte auch sagen Fett mit Eiern und Wurst. Nun denn, Energie braucht der Radler. Dass mir das nicht so gut bekam, merkte ich irgendwie schon beim Essen. Die Quittung sollte ich aber erst in der Nacht erhalten…

Die Unterkunft.


Nach weiteren Verhandlungen konnte ich mit der Frau des Hauses aushandeln dort übernachten zu dürfen. Eine Dusche gab es nicht, so wurde ich mit einem Eimer Wasser in die Büsche geschickt, um mich dort zu duschen. Ich konnte mein Lager auf einem der landestypischen großen (Bett?)-gestelle herrichten. Wunderschön unter einem schattigen Baum gelegen. Noch mehr sollte ich jedoch die Nähe zum “Sch…loch“ (alles andere wäre wirklich nicht angemessen!) schätzen lernen…
Der perfekte Ort für eine (untertrieben!) „Magenverstimmung”. Mehr Einblicke im nächsten Posting. Aloha.