Finale in Kirgisistan

   

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Der Morgen danach. Ich finde es immer wieder faszinierend, welche vielfältigen Wirkungen eine gute Mütze Schlaf haben kann. Sei es das Nickerchen zwischendurch, die Nacht, die man “nochmal drüber schläft”, oder die alltägliche Nachtruhe – Vieles erscheint danach anders. Der Geist ist erholt, frisch, aufnahmefähig und bereit für neue Taten. Probleme und Sorgen erscheinen in neuem Licht oder sind wie weggeblasen. “Über Nacht” kommen wir zu neuen Lösungen. Die Liste positiver Effekte von Schlaf auf uns ist lang. Zur gleichen Zeit ist es doch erschreckend, welch gesellschaftlich geringen Stellenwert der Schlaf heutzutage hat. Stichwort Leistungsgesellschaft. Aber wenn ich mich so umschaue, muss ich mich doch fragen, was der Großteil der Menschheit unter “leisten” und dem damit einhergehenden Begriff der “Arbeit” überhaupt versteht. Ich schweife ab.

In jenen Tagen, ich befinde mich auf dem Pamir Highway in den Bergen Tadschikistans, konnte ich mir weder vorwerfen zu wenig geschlafen, noch zu wenig geleistet zu haben.

Ein neuer Morgen, ein neuer Tag und eine ruhigere Wetterlage. Die Horrorwolke über dem Pass war weg und ich konnte mein Ziel sehen. Die Entfernung zum Pass war wirklich lächerlich. Dennoch war am Vortag nicht im geringsten daran zu denken diese Distanz zu bewältigen. Nicht mit dem Rad und auch nicht zu Fuß. Es war unmöglich. Und das ist ein Begriff, den ich nur sehr ungern verwende. Denn: Wo ein Wille, da ein Weg!

Das Radfahren war trotz der schlammig-nassen Straßenverhältnisse, der Höhe und der Steigung, erschreckend leicht. Gefühlt war es eine Abfahrt, zumindest wenn man meine Bemühungen des Vortags als Maßstab nimmt.
Voller Freude, Stolz und Erleichterung, hielt ich in meinem Reisetagebuch fest: “Ich habe den Sau-Pass bezwungen.”
Ich war ausgeruht und brannte darauf den letzten der 4000-Meter-Pässe zu bezwingen. Es muss früh gewesen sein, denn als ich an der tadschikischen Grenze ankam, musste ich erstmal die Beamten wecken. Das hatte ich noch nicht.
Und es war auch das erste Mal, dass ich Geld bezahlen musste. “Bearbeitungsgebühr”. Vielmehr war es wohl eine “wegen-dir-beklopptem-Radfahrfutzi-konnte-ich-nicht-ausschlafen-und-jetzt-zahlst-du-dafür-Gebühr”.
Im Vorfeld dieser Reise hatte ich einige Berichte über derartige Techniken gehört. Dementsprechend war ich an jeder Soldaten-Kontrolle auf dieses Szenario vorbereitet. Mit den geforderten 50 Dollar habe ich selbstverständlich nicht rausgerückt. Wie auch. Frecherweise zückte ich meine Kreditkarte.
Nach einigem diskutieren, gab der Soldat schließlich auf und begnügte sich mit den 20 Somoni, die ich ihm auf den Schreibtisch klatschte, mit der Geste, es sei alles was ich noch bei mir hätte. 20 Somoni waren zu diesem Zeitpunkt etwa zwei Euro. Entnervt füllte er weiß Gott welche Formulare aus und verabschiedete mich am Ende doch noch recht freundlich ins Niemandsland.

Nun war ich offiziell aus Tadschikistan ausgereist. Aber in Kirgistan war ich damit noch nicht. Die offizielle Einreise würde erst ein ganzes Stück später erfolgen. Das wusste ich natürlich nicht. Und hätte ich es gewusst, hätte ich am Vortag auch nicht so verkrampft versucht den Pass zu bezwingen. Denn dann hätte (…Fahrradkette…) ich womöglich ganz andere Sorgen. So wie beispielsweise James:
Ein weltreisender Radfahrer, wie er im Buche steht. Ich traf ihn auf der Abfahrt vom Pass, während er sich gerade auf dem Weg nach oben befand. Er übernachtete nämlich im Niemandsland und sorgte sich nun über die Einreise nach Tadschikistan. Hier hätten die Grenzbeamten sicherlich einen Grund ihm Geld abzuzwacken, da das Datum der Ausreise aus Kirgisistan einen Tag alt war.
Aber wirkliche Sorgen wird der gute James nicht gehabt haben, schließlich befand er sich seit fünfeinhalb Jahren auf der Reise. 5 1/2 Jahre! Er befand sich auf dem “Heimweg”. Beiläufig scherzte er, dass es Zeit sei heimzukehren (”It´s time to go home”). Aber man spürte, dass er diesen Scherz schon unzählige Male erzählt hatte. In den kommenden acht Monaten, die er nach eigenen Schätzungen noch benötigen würde, wird er diesen Satz sicherlich noch häufiger von sich geben.
Kopfschüttelnd rollte ich weiter nach unten. Ich bewunderte seine Reise, ja, sein Leben muss man wohl sagen. Ist es noch eine Reise im allgemein verstandenen Sinne? In gleichem Maße, konnte ich es aber nicht nachvollziehen so lange unterwegs zu sein. Allerdings gab es auch schon Zeiten, da konnte ich nicht verstehen, wie man ein ganzes Jahr lang auf Achse sein konnte. Aber diese Dimension scheint mir, spätestens nach meiner jüngsten Australienreise, schon viel realer. Aber zwei, drei, oder eben fünf Jahre? Das ist doch keine Reise mehr, das ist ein Lebensstil. Dann wird der Radreisende zum Fahrrad-Nomaden. Das Rad wird zum Zuhause.

Während ich über all dies nachdachte, rollte ich durch die grünsten Wiesen, die ich je gesehen habe. Zumindest erschien es mir in diesem Moment so als sei das kirgisische Gras grüner, als irgendwo sonst. Das hatte aber eher mit der felsig-staubigen Landschaft des tadschikischen Pamirs zu tun. Meine Augen dürsteten nach Farbe. Dieses Grün, war wie der Schluck Wasser nach einer Wüstendurchquerung.

Pferde, Kühe und ein paar Ziegenherden, kauten auf dem saftigen Grads herum und schenkten mir nur geringe Beachtung. Ich rollte dahin, mit meinem ersten Ziel stets im Blick: Sary-Tash. Dahinter wieder eine Wand aus Bergen. Während ich mich der Ortschaft langsam näherte, rätselte ich darüber, welchen Berg ich als nächstes erklimmen durfte. Aber was waren diese Berge schon im Vergleich zu den tadschikischen Viertausendern.

Zuallererst wollte ich Geld abheben. Ohne Bank, kein Geld. So einfach war das. Auch ein Weg zu sparen. Aber zum Glück konnte man aufgrund der Nähe zu Tadschikistan auch mit Somoni bezahlen. Auch wenn ich in unmittelbarer Reichweite zu Osh, dem Ziel meiner Reise und dem Ende des Pamir-Highways war, so musste ich meine faden Überbleibsel aus Couscous und Haferflocken mit irgendetwas aufpeppen.

Wärme. Endlich wieder wohlig warm, was ich die vergangenen zwei Tage so sehnlichst vermisst hatte. Dazu dieser Straßenbelag. Das beste Material, das ich seit Duschanbe unter den Reifen hatte. Keine Schlaglöcher, keine Felsbrocken, kein Sand und Staub, sondern eine richtig schöne Straße. Radfahrerglück pur. Und dazu der nächste Berg.
In Rennrad-Manier flog ich die Kehren nach oben. Motiviert durch die farbenfrohe Landschaft, den exzellenten Straßenbelag und das famose Sommerwetter. Hier und da stand eine Jurte und es wurde Stutenmilch angeboten. Dieses kulinarische, nennen wir es mal Erlebnis, hob ich mir für das Ende der Reise auf. Auf eine weitere Magenverstimmung kurz vor Schluss, wollte ich verzichten.

Ohne die Jurten könnte dieser malerische Radfahrberg auch in den Alpen gestanden haben. Auf der anderen Seite war das Tal wolkenverhangen und es sah nach Regen aus. Sukzessiv stärker werdende Schauer suchten mich heim. Aber es war mir egal. Diese Farben! Und diese Abfahrt! Mit dem Haleakala auf Hawaii, eine der besten Abfahrten, die ich jemals gefahren bin. Dazu Rückenwind. Mit Lichtgeschwindigkeit düste ich dahin.

Ich dachte: Jeden Moment müsste es doch mal vorbei sein. Aber immer weiter und weiter, wurde ich ohne Mühe weiter getragen. Der Lohn für die hart verdienten Höhenmeter.

Kurz bevor sich die nächste düstere Wolke über mich ergießen konnte, erreichte ich einen kleinen Ort. So schnell wie ich dahinrauschte, bedurfte es einer frühzeitigen Vollbremsung, um den Ort nicht zu verpassen. Ich kehrte in eine Teestube ein und wurde mit einer bebilderten Menü-Karte überrascht. Das war einfach. Ich zeigte auf das, was wie ein Hühnchen aussah. Eine Riesenportion fett-saftiges Fleisch. Genau das richtige nach der eintönigen Kohlenhydrat-Diät der vergangenen Tage. Mit dem Brot putzte ich den Teller so blitzeblank, man hätte ihn nicht abspülen brauchen.

In dieser Pause stellte ich überrascht fest, dass ich schon am nächsten Tag mein Ziel erreichen könnte. Dementsprechend schwierig gestaltete sich die Suche nach einem Campingplatz am Abend. Entweder war ich in unmittelbarer Nähe zu irgendwelchen Ortschaften, oder zwischen Fluss auf der einen und Felswand auf der anderen Seite, war schlichtweg kein Platz. Aber die Erfahrung hat mich gelehrt: Wer lange genug sucht, der findet etwas – Immer! Und so wurde es ein, einem vorletzten Radtourtag gebührender, Zeltplatz. Umgeben von den grünen Hügeln Kirgisistans verbrachte ich eine letzte Nacht unter freiem Himmel, der sich, einmal mehr, sternenklar präsentierte. Danke dafür.

Wilde Blumenwiesen säumten meinen Weg nach Osh und der Holzofengeruch der qualmenden Jurten begleiteten mich an diesem Morgen. Vom Land in die Stadt. Ich durchfuhr die Stadttore und war da.
Dieses Abrupte schafft mich immer wieder. Eben noch reisend und pedalierend unterwegs und im nächsten Moment, mit dem Absteigen vom Fahrrad, ist es vorbei.

Es dauerte eine Weile, bis ich ein Hostel ausfindig machen konnte. Die Stadt war groß und es herrschte viel Verkehr und geschäftiges Treiben. Die Suche und das mehrmalige Nachfragen machten sich jedoch bezahlt. Herzlich und mit gewohnter Gastfreundschaft wurde ich empfangen und einquartiert. Zudem standen mir die Besitzer mit Rat und Tat zur Seite. Mal abgesehen davon, dass einer von ihnen sehr passables Deutsch sprach und seine Sprachkenntnisse auffrischen wollte.

So abrupt das Ende einer Reise, so eingespielt ist der Ablaufplan der Abreise: Viel Essen, Fahrrad verpacken, Flughafentransport organisieren, mehr Essen, hoffen, dass das Rad problemlos eingecheckt wird und dann in den Flieger steigen (Zwischendurch Essen nicht vergessen).

Nachdem ein Freund und ich arge Probleme hatten in Rom eine Fahrradbox zu organisieren, hatte ich mich auf dieser Reise für die Plastiktütenlösung entschieden. Eine für Fahrräder dimensionierte Hülle aus dickem Plastik, die vom britischen Radfahrverband herausgegeben wird. Ich habe bislang nur gute Erfahrungen damit gemacht. Die Vorteile liegen auf der Hand: Gering im Gewicht und transportabel. Die Idee dahinter ist außerdem, dass die Gepäck-Leute am Flughafen sehen, dass sich darin ein Fahrrad befindet und es somit nicht durch die Gegen pfeffern.

Beim “eintüten” stellte ich fest, dass der Hinterreifen platt war. Da fährt man 1600 Kilometer über die übelsten Gassen mit den spitzesten Steinen und den tiefsten Schlaglöchern und holt sich dann im Keller eines Hostels einen Platten von einem dünnen, kleinen Draht. Ironie. Is mir egal. Denn ich war auf dem Heimweg.
Zwei Tage und viele Hostelbekanntschaften später, flog ich aus. Die Flugverbindung nach Hause war mal wieder Abenteuer für sich, denn von Osh hatte ich keinen Direktflug. Über Istanbul ging es nach Frankfurt und so betrug die Reisezeit insgesamt 12 Stunden. Aber was waren schon 12 Stunden, wenn man den Pamir-Highway im Gepäck hat…

Es waren zwei Wochen, die viel zu schnell vorüber waren, aber so viele Eindrücke und Erlebnisse lieferten, als wäre ich monatelang auf Reisen gewesen. Das einzige, was diese Reise mit anderen Ausflügen gemein hatte, war, dass ich neue Ziele hatte, die ich erkunden wollte. Russland, die Mongolei…Wir werden sehen, wo die Reise hingeht. Aloha.