Bella Sardegna

   

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Und plötzlich stehe ich am Flughafen Frankfurt. Mal wieder. Schon wieder. Gerne immer wieder.

Es ist ein sonniger Morgen Ende März 2018. Terminal 1, Abschnitt C, Schalter 720, Alitalia. “Ist das ein Fahrrad?”, erkundigte sich die Dame beim Check-in mit Blick auf meinen Fahrradkarton. Einer dieser Momente in denen man sich dringlichst einen blöden Kommentar verkneifen sollte. Aber ich bin ja geübt, wenn man so will. Mittlerweile gehören die unsicheren Blicke, schüttelnden Köpfe, bei Kollegen Hilfe suchenden, schier überforderten Airlineangestellten zu meiner Reiseroutine. Diesbezüglich scheint “reibungslos” ein Fremdwort zu sein. So auch diesmal.

Einer der Hauptgründe mit Alitalia zu verreisen, war die Möglichkeit Fahrräder als Teil des Freigepäcks mitzunehmen. In der Regel verlangen die Airlines mindestens 50 Euro pro Strecke für die Fahrradmitnahme.

Nun stand ich also an besagtem Schalter und scheinbar war das Einchecken meines Zweirades nicht mit dem Buchungssystem kompatibel. “Sie müssen dafür noch bezahlen!”. – Dio mio! Einmal mehr war ich also in der Situation der Fachfrau die Gepäckpolitik ihres Arbeitgebers erklären zu müssen. Während ihr Kollege sie durch das Check-in-Programm lotste, rief ich sicherheitshalber besagten Paragraphen für die Mitnahme von Sportgepäck auf. Und plötzlich ging es dann doch. Etwas holprig, aber immerhin – die erste Hürde war genommen.

Viele, die von meiner Art zu reisen hören, erstarren vor den sportlichen Anstrengungen die meinen Radreisen zugrunde liegen. Für mich besteht die wirkliche Herausforderung meist in der Logistik. Konkret bedeutet das, wie komme ich zum eigentlichen Startpunkt, wenn ich nicht von zuhause starte.

Ohne Rad keine Reise. Das muss dann eingepackt werden. Dafür braucht es eine Kiste. Die will erstmal organisiert werden. Ist das Rad samt Zubehör eingetütet, muss man diese letztlich noch zum Flughafen transportieren. In der Summe auf jeden Fall ein zeitaufwändiges Prozedere. Wenn man es dann wirklich bis zum Check-In Schalter geschafft hat beginnt die Phase des Eincheckens. Vor Jahren schon, dachte ich alle Eventualitäten dieses Schrittes erlebt und gemeistert zu haben. Jüngste Erlebnisse beweisen mir aber immer wieder das Gegenteil. Ganz sicher warten hier noch neue Überraschungen auf mich.
Wenn die Radkiste dann endlich den Gepäckaufkleber bekommt, muss man die Kiste zu irgendeiner ominösen Tür in einer dunklen Ecke des Flughafens befördern. Um nach dem Check-In-Stress der allgemeinen Verunsicherung die absolute Krone aufzusetzen, arbeitet an diesem separaten Gepäckband in der dunklen Ecke ein meist wortkarger Mensch, der im besten Falle mit einem Nicken auf die Frage antwortet, ob es das jetzt war. Dann bangt und betet man, die Kiste mit intaktem Inhalt am Zielflughafen wiederzusehen.

Bei meinem alten, eingerittenen Stahlross, dem Surly Longhaul Trucker, machte ich mir von mal zu mal weniger Gedanken, wenn ich es auf seine eigene kleine Reise schickte. Es hat mindestens so viele Flugmeilen, wie gefahrene Kilometer hinter sich. Nach Sardinien begleitete mich zum ersten mal mein noch jungfräuliches Carbonrennpferd. Wenn das mal gut gehen würde…

Bevor es in den Flieger ging, war erstmal Busfahren angesagt. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal über eine Gangway direkt vom Terminal in das Flugzeug gestiegen bin. Der Preis des Billigfliegens. Oder das Resultat von zu großen Flughäfen. Die wenigen Passagiere dieses Fluges wurden auf zwei Busse aufgeteilt. Im Gegensatz zu der überschaubar großen Maschine, herrschte hier noch Bein- und Bewegungsfreiheit.
Zunächst standen wir erstmal lange auf dem Rollfeld. Vor unserer Maschine. Das heißt: Der Bus stand mit uns auf dem schier unendlichen Gelände des Frankfurter Flughafens. Dann passierte erstmal nichts.

Augenscheinlich hatten wir unsere Maschine erreicht. Wir waren da. Der Flieger auch. Aber wir durften nicht aussteigen. Natürlich wurde uns auch nicht mitgeteilt was vor sich ging. Aber: Irgendwas war im Gange: Zwei Einsatzwagen der Bundespolizei vor uns.
Eine Beamtin lief mehrmals vom Fahrzeug die Treppe zum Flugzeug hoch und wieder zurück. Rucksäcke wurden aus dem Auto geladen, dann wieder zurückgebracht. Spontan dachte ich an einen Gefangenentransport oder sowas. Ohnehin waren mir die Sicherheitskontrollen heute wieder sehr streng vorgekommen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kam dann endlich Bewegung in die Sache. Action! Von der hinteren Flugzeugtreppe bewegte sich ein vielleicht sechs oder acht Personen starker Trupp die Treppe herunter. In dessen Mitte ein schwerer Gegenstand, jedenfalls den kurzen, aber schnellen Schritten nach zu urteilen. Auf dem Rollfeld angekommen entpuppte sich der schwere Gegenstand als Mensch, der mühsam an allen Vieren heruntergeschleppt wurde. Während mehrere Leute die Person fixierten, fesselte sie ein weiterer, auf dem Rücken der Person kniend, mit einem Kabelbinder.
Nachdem das Schauspiel weitestgehend vorbei war, fiel einem pfiffigen Beamten ein, die Busse mit den geladenen Zuschauern, also uns Passagieren, nochmal kurz auf eine Extrarunde um den Flughafen zu schicken, um die Sache in Ruhe abwickeln zu können.
Nach der kleinen Sightseeingtour um das Rollfeld präsentierte sich die Szenerie als wäre nichts gewesen: Ein Flugzeug, zwei Treppenaufgänge, keine Polizeiwagen.

Während wir uns auf dem Weg zur Reiseflughöhe befanden, teilte uns der Pilot dann entschuldigend mit, dass es sich bei dem Vorfall um einen “nicht kooperierenden Passagier” gehandelt habe. Wer es glaubt wird seelig. Mein Tipp bleibt beim blinden Passagier oder einem übermäßig alkoholisierten Fluggast.

Nach der nicht unerheblichen Verzögerung, sorgte ich mich, wie auch benachbarte Mitreisende, um die Anschlussflüge. “Kein Problem”, versicherte uns der silberhaarige Steward (ganz der Italiener). Der Flieger sei sogar pünktlich. Allerdings denke ich, dass er bei seiner Angabe die in Italien obligatorischen 30 Minuten Verspätung mit einberechnet hatte. In etwa so wie die Deutsche Bahn nur Verspätungen von 5 Minuten und mehr in ihre Statistik aufnimmt. Herrschaften! Entweder man ist pünktlich. Oder nicht. PUNKT. Nicht KOMMA. Oder FRAGEZEICHEN. Wo kommen wir denn da hin?!

Aber egal. Letztlich bot der kleine Mailänder Flughafen mit seinen kurzen Wegen sogar genug Zeit für den ersten Espresso auf italienischem Boden. Ciao Italia! Was mir immer wieder auffällt, ist die schiere Anzahl gut gekleideter Menschen in Italien. Oder anders ausgedrückt: Die ausnahmslose Abwesenheit schlecht gekleideter Menschen (minus Touristen). Ein weiteres Indiz dafür, dass ich mich beim Umsteigen auf italienischem Boden befand waren die vielen Wegweiser zum nächsten Caffé-Stand (das Piktogramm der dampfenden Kaffeetasse).

Eine Stunde nach dem Mailänder Espresso, war ich bereits auf sardischem Boden und sehnte das Erscheinen meiner Radkiste herbei. Die Ankunftshalle in Cagliari hat die Ausmaße einer größeren Turnhalle. Meine Radbox sollte direkt vom Rollfeld durch eine Schiebetür gebracht werden. Vorausgesetzt, dass sie überhaupt mit mir im Flieger war…

Und dann erlebte ich einen dieser Momente, in denen man sich wünscht man hätte gerade woanders hingeschaut. Eines dieser typischen Rollfeld-Wägelchen kam herangebraust (durch die großen Fensterfronten hatte man einen perfekten Ausblick auf das Flughafenvorfeld). Ich erblickte meine Radkiste auf dem Anhänger und freute mich schon! Erleichterung. Zu früh!
Denn dann kam der Gepäckmann ins Spiel. Er griff beherzt zu, einhändig, und mit einem kräftigen Ruck plumste die Kiste von der Ladefläche auf den warmen, aber trotzdem harten Asphalt. Wrumms! Ebenso liebevoll schliff der Mann die Kiste dann hinter sich her, um sie genauso gefühlvoll, wie er sie vom Anhänger gezogen hatte, auf den glatten Fliesen des Flughafens abzulegen. Schwerkraft in Aktion. So viel zum Umgang mit dem Gepäck.

Das wichtigste aber war: Alles war heil und funktionstüchtig. Eine knappe Stunde später hatte ich das Rad wieder aufgebaut, bepackt und war bereit zur Abfahrt. Das Abenteuer konnte endlich beginnen…

Mit Sack und Pack stand ich am Flughafen in Cagliari auf Sardinien. Da ich schon unzählige Male direkt vom Flughafen losgeradelt war, machte ich mich auf den damit verbundenen Stress gefasst. Es ist nicht unbedingt der Verkehr, der einem als Radfahrer das Leben schwer macht. Vielmehr sind Flughäfen im Allgemeinen Fahrradunfreundliche Orte. Es gibt weder Radwege, noch sind die Autofahrer auf Fahrradfahrer eingestellt. Ist ja auch ein Stück weit verständlich, denn wer fährt schon mit dem Rad zum Flughafen? Auf der anderen Seite: Den Bahnhof erreiche ich problemlos auf Zweirad.

Wie dem auch sei. Jetzt ging es jedenfalls los. Dank der GPS-Navigation musste ich nur der blauen Linie auf meinem Smartphone nachfahren. Das macht das Fahren schon mal um ein Vielfaches einfacher. Oft erinnere ich mich zurück an meine erste Radreise überhaupt. Bewaffnet mit kiloweise Kartenmaterial machte ich mich damals auf den Weg.
Über den Parkplatz, vorbei an den Taxis und Mietwagenflotten und schon war ich runter vom Flughafen und auf einem Feldweg. Note 1 für Radfreundlichkeit am Flughafen Cagliari. Note 5 für Sicherheit, denn von dem Feldweg könnte man ohne Hindernisse auf das Rollfeld fahren…Mir egal. Es war der entspannteste Start von einem Verkehrsknotenpunkt überhaupt!

Ich war also erstmal eine Weile off-road. Es folgte das obligatorische Industriegebiet und sofort darauf fühlte es sich übertrieben klischeehaft nach Italien an: Schmale Alleen, verwinkelte Gassen, alte Dörfer. Bella Italia! Schnurstracks ging es in Richtung der Berge. Zugegeben ist es schwer auf Sardinien keine Berge anzufahren. Wenn man keine Berge sieht, blickt man aufs Meer.

Prompt wurde es steil, staubig und steinig. Ich spürte die Nachwehen der vorangegangenen Radtour von Köln nach Frankfurt. Aber zu Beginn einer Tour kennen Motivation und Freude keine Grenzen. Das treten fiel mir brutal schwer. Wohl auch, weil ich das bepackte Rad noch nicht derart steile Rampen hochgeprügelt habe. Aber ehe ich mich versah, war ich mitten drin im Urlaub: Die Nachmittagssonne strahlte mich an, ich war umgeben von grünen Hügeln und blickte aufs Meer. Dolce Vita.

Ich hatte mir vorgenommen es gemächlich angehen zu lassen. Üblicherweise schaffe ich es auf solchen Unternehmungen nämlich mich vollends zu zerstören. Gelassen über das italienische Eiland war das Motto. War. Vorab lies ich sogar verlauten “möglichst wenig Rad fahren” zu wollen. Ich hatte weder ein Ziel, noch eine ausgewählte Route. Mein Plan bestand vielmehr aus einer Vielzahl an Streckenoptionen. Also darin keinen Plan zu haben.

So kam es auch, dass ich nach guten drei Stunden auf dem Rad beschloss den sportlichen Teil des Tages zu beenden. Prompt begegnete ich einem sardischen Bauern. Die erste von vielen Begegnungen auf dieser Reise. Der wettergegerbte, schmale Mann mit Dreitagebart klapperte in seinem dunkelblauen Fiat Panda (4×4!) den Berg runter, den ich rauf wollte. Wo es hinginge, fragte er mich. Zumindest glaubte ich, dass er mich das fragte. Mein italienisch beschränkt sich (immer) noch auf die notwendigen Vokabeln wie “ciao”, “grazie” und natürlich “caffe”. Er wollte mich mitnehmen, aber ich zeigte den Berg hinauf (und wollte ja sowieso da bleiben, wo ich war).#

Wenn ich mir einen perfekten ersten Tag hätte wünschen können, hätte er genau so ausgesehen. Von meinem Zeltplatz überblickte ich die bereits zurückgelegte Strecke. Das sanfte Abendlicht legte sich über die Landschaft. Ich konnte den kleinen Flughafen, das Meer und die Felder, Wiesen und Vororte der sardischen Hauptstadt überblicken. Ich war umgeben von der ländlichen Idylle. Vögel zwitscherten den Sonnenuntergang herbei und Rindvieh wackelte auf der Suche nach Essbarem durch die Büsche.

Ganz anders hingegen, präsentierte sich der nächste Morgen. Allein die Nacht war schon eine Nummer für sich. Es war windig, stürmisch! Und einige Böen schienen mein Zelt vom Boden zu heben. Es riss, zog und drückte von allen Seiten. Neben einigen Regentropfen, kühlte es zudem erheblich ab. Es. War. Kalt. Himmel! Mein Schlafsack war definitiv nicht warm genug. Bei weitem nicht. Schon bald nach dem Zubettgehen, zog ich alle mitgeführten Kleidungsstücke an: Socken, Jogginghose, Thermoshirt, Hemd, Windjacke, Fleece, Regenjacke und mein Halstuch als Mütze. Es war noch immer nicht genug. Es war nicht die erste Nacht in der ich im Zelt gefroren habe. Aber es gibt Dinge, die nicht angenehmer, oder einfacher werden, wenn man sie häufiger erlebt.

Die Nacht endete und der erste Blick aus dem Zelt offenbarte nichts. Ich glotzte auf eine dicke, kalte Nebelwand. Noch nicht mal den Weg, der nur wenige Meter entfernt war, konnte ich erkennen. Ganz zu schweigen von Tälern, Bergen und Meer, die ich am Vorabend bewunderte.

Es half alles nichts. Nach einem Frühstück bestehend aus vielen Lakritzschnecken und einer halben Tafel dunkler Schokolade, legte ich mich nochmal eine Stunde hin. Im Gegensatz zur turbulenten Nacht, fiel ich jetzt in absoluten Tiefschlaf. Nach einer Stunde der Erholung ging es in die nasse Kälte. Mein Lieblingswetter. “Da hätte ich auch zuhause in Deutschland bleiben können”, schoss es mir durch den Kopf.

Der nächste Gedanke entsprang glücklicherweise meiner Abenteurernatur und ich nahm es als aufregende Herausforderung den matschigen und steinigen Weg nach oben zu bezwingen. Was blieb mir auch anderes übrig? Die Uhr zeigte bereits 9:15 Uhr. Ungewöhnlich spät für mich, doch übereinstimmend mit meinem Vorsatz für diese Tour alles einen Tick entspannter und ruhiger angehen zu lassen.

Der Abenteurergeist bescherte mir eine regelrechte Schinderei. Den gesamten Vormittag fühlte es sich so an, als wollte dieser Berg nicht erklommen werden. Nicht hier, nicht heute. Oder wollte er mich einfach nur loswerden? So sicher war ich mir da nicht. Es war ein bisschen so wie in Tadschikistan, als ich wenige hundert Meter vor der Grenze zu Kirgistan dem unnachgiebig peitschenden Gegenwind Tribut zollen musste – Notgedrungen musste ich völlig entkräftet zwischen Straßengraben und Abflussrohr mein Lager aufschlagen.

Nach unzähligen Maximalkraftanstrengungen, meine Übersetzung war definitiv zu groß für mein beladenes Rad (oder meine Ausdauerbeinchen), sowie Episoden des Fast-in-den-Schlamm-Fallens und Schiebens, erreichte ich irgendwie den höchsten Punkt des Anstiegs. Stets begleitet vom Läuten der Zicklein, die auf Sardinien ebenso zahlreich erscheinen wie die klapprigen Fiat Panda.

Just ab diesem Moment lichtete sich auch die graue Suppe um mich herum. Selbst der Matschweg wandelte sich zu einer richtigen Straße. Mit Leitplanke. Wohoo.
Als hätte ich eine Pforte zurück in die normale Welt passiert, fühlte sich alles wieder wirklich an.

Ich erreichte das erste Dorf. Durch Zufall stieß ich auf den versteckten Supermarkt. Überhaupt hatte ich das Gefühl, dass die Supermärkte auf Sardinien immer versteckt waren. Die Frau hinter dem Tresen war sehr hilfreich als es um das Belegen meines heiß ersehnten Prosciutto-Crudo und Formaggio Sandwiches ging, welches ich genüsslich auf einer Parkbank in der Sonne verdrückte. Das heißt: Zur Hälfte verdrückte. Den Rest hob ich mir für später auf.

Auf eine rasante Straßenabfahrt, folgte eine Flussdurchquerung. 12 Meter durch kaltes, klares Wasser. Die Radlerhose war gerade kurz genug, um nicht nass zu werden. Wer sein Rad liebt – schiebt, d.h. in diesem Falle trägt. Nach der überaus erfrischenden Abkühlung heizte die Sonne ordentlich ein. Frühlingsgefühle Mitte März. Endlich. Hier unten hatte die Sonne bereits ordentlich Dampf. Und mit Dampf ging es dann auch stetig bergauf. Ich befand mich in malerischer Landschaft. Wobei es sicherlich einfacher wäre die Orte auf Sardinien aufzuzählen, an denen das nicht der Fall ist.

Beinahe am Ende des Anstiegs angelangt, eröffnete sich der Ausblick auf die umliegenden Hügelformationen. Auf dem nächstgelegenen Berg konnte ich eine scheinbar in den Fels gebaute Befestigungsanlage ausmachen.
Das sonnige Wetter und die herrliche Landschaft erzeugten tiefste Entspannung. Ich war so entspannt, dass ich endlich mal wieder ein großes Geschäft abwickeln konnte. Mindestens 5 Kilo leichter fuhr es sich noch entspannter.

Auf dem folgenden Plateau mussten unzählige Gatter durchquert und Zäune überwunden werden. Ich dachte das ständige absteigen, Rad hochwuchten, behutsam auf der anderen Seite der Zäune absetzen sei anstrengend. Doch dann folgte eine Episode, die mir die Grenzen meiner neuen, zweirädrigen Begleitung aufzeigten.

Es ging hinab in einen wilden Wald. Das war noch harmlos. Der Weg durch den Dschungel wurde zum schmalen Pfad, im Mountainbike-Sprech nennt sich das Singletrack, der von kratzborstigen Sträuchern überwuchert war. Das minderte den Fahrspaß beträchtlich. Spätestens jetzt konnte nur noch bedingt von Fahren gesprochen werden. Da sich der Dschungel aus einem unüberschaubaren Bachnetz ernährte, waren die Pfade ausgewaschen, teils von Felsbrocken übersät und wurden hier und da von Bachläufen durchbrochen. Das Auf- und Absteigen setzte sich also fort, diesmal verbunden mit Schieben. Und davon viel. So langsam schimmerte mir, was es mit dem Begriff Hike-a-Bike auf sich hatte (Das Fahrrad wandern).
Zu aller Schinderei kam, dass ich mich in dem Wege-Labyrinth verfuhr. Auch die beste Navigationsapp ist nutzlos, wenn man nicht hin und wieder draufschaut.

Die Anstrengung wich Genervtheit. Ich hatte Hunger und Nachmittagsmüdigkeit machte sich breit. Zeit für eine lukullische Aufmunterung. Frustessen. Zeit für Teil Zwei des schmackhaften Schinken-Käse-Brötchens. Doch, wo zur Hölle war es?! Es war weg! Und dann erinnerte ich mich an den Moment der Tiefenentspannung. Beim herauskramen der Toilettenpapierrolle, musste ich es wohl beiseite gelegt haben. Ein Haufen für ein Brötchen. Kein guter Tausch.

Jammern konnte ich noch so viel, am Ende konnten mich nur Taten aus dem Schlamassel befreien. Ich wollte raus aus diesem Wald-Wasser-Wege-Wirrwarr. Außerdem war es so langsam mal Zeit für einen Espresso. An Ort und Stelle würde ich weder das eine, noch das andere bekommen. Auf die Zähne beißen, den Jammerlappen auf lautlos stellen und wieder Meter machen. Von jetzt an am besten in die richtige Richtung.
Statt des köstlich belegten Brötchens, welches nun eingewickelt in eine Serviertte auf einem einsamen Hügel mit bester Aussicht sein absehbares Dasein fristete, blieben mir ein paar Lakritzschnecken und eine Mandarine. Immerhin.

Irgendwie genügte das um mich auf eine herbeigesehnte Straße zu bringen. Endlich konnte ich wieder spürbar Strecke machen. Es war halb sechs. Blieben also noch knapp 90 Minuten bis zum Sonnenuntergang. Bis dahin hatte ich noch zwei essentielle Aufgaben auf meiner imaginären To-Do-Liste abzuhaken: Schlafplatz finden und Essbares auftreiben.

Der nächste Ort: Entlang der Hauptstraße fand ich lediglich die Metzgerei, sowie ein Obst- und Gemüselädchen. Letzteres hatte bereits geschlossen. Der erste Versuch jemanden nach dem Supermarkt zu fragen endete am Ortsausgang. Kein Supermarkt. Mag an meinen italienisch Kenntnissen gelegen haben. Ein anderer älterer Herr ließ erst eine scharfe Salve italienisch auf mich einprasseln, bevor ich ihm signalisieren konnte, dass ich praktisch nichts verstanden hatte. Glücklicherweise sprach der gute Mann deutsch, weil er sieben Jahre in Bremen gelebt hatte. Sodann kramte er sein so schön italienisch angehauchtes Deutsch hervor und erklärte mir den Weg.
Da ich mich nicht nochmals in der verwinkelten Ortschaft verirren wollte, vergewisserte ich mich an einem der genannten Wegpunkte, ob ich noch auf der richtigen Fährte war. Der ebenfalls ältere Herr, diesmal ohne Deutscherfahrung, sprang in seinen Fiat Panda (was sonst?) und bedeutete mir ihm zu folgen. Im Windschatten seines Wagens kam ich beim Supermarkt an, den ich alleine niemals gefunden hätte.

Ich füllte den Einkaufskorb bis zum Anschlag und verstaute das Zeug notdürftig in meinen bereits ausgelasteten Packtaschen. Den Rest transportierte ich in meinem Reiserucksäckchen. Nach nur dreißig weiteren Minuten auf dem Rad und einem todessteilen Schlussanstieg fand ich einen geeigneten Schlafplatz. Zwitschernde Vögel, Kuh-Gemuh und das Rauschen des Windes begleiteten die untergehende Sonne. Und das war das Ende meines Diesmal-lasse-ich-es-locker-angehen-Vorhabens. Fortsetzung folgt.

Den kommenden Morgen hätte ich mir nicht schöner ausmalen können. Vielleicht ein bisschen wärmer. Aber es herrschte herrlichstes Frühlingswetter. Die Vögel zwitscherten, im Hintergrund läuteten einige Kuhglocken und die Sonne lachte am blauen Himmel. Es war ein weitaus angenehmeres Aufwachgefühl, als nur 24 Stunden zuvor.
Entsprechend beschwingt setzte ich meine Route fort. Mir war bewusst, dass ich auf einer Mountainbikepassage unterwegs war. Die zahlreichen Abschnitte in denen ich mein Bike schultern musste, machten mir das nur allzu bewusst.
Gute fünzig Meter kraxelte ich auf dem Rad einen steinigen, losen Schotterweg hinunter. Eindeutig zu schwierig für mich und mein Rad-Setup. Die Optionen waren klar: Entweder eine weitere Episode Hike-a-Bike, oder umdrehen und mich entlang ausgetretener Pfade bewegen. Die Entscheidung fiel mir leicht.
Ein letzter Blick voraus, dann verabschiedete ich mich im Geiste von der Route, kehrte um und kraxelte den Hang wieder hinauf. Vorbei an meinem Schlafplatz und dann den steilen Asphaltweg runter, den ich mich am Vorabend noch mühsam hochgekämpft hatte.

Obwohl die Sonne bereits in das lang gezogene Flusstal schien, war es noch empfindlich kalt. Ich genoss die frische Luft. Vor allem als es lange und steil aus dem Tal hinausging. Eine Quelle unterbrach meine Kletterei und ich erfrischte mich am kalten Wasser. Am Ende des Anstiegs war ich wieder in der Ortschaft in der ich den Supermarkt gesucht hatte.

Es war regelrecht befreiend wieder auf befestigten Straßen unterwegs zu sein. Radfahren und nicht Radwandern – und schon gar nicht Radkämpfen. Ob der unzähligen Anstiege, es gibt nur Auf oder Ab auf Sardinien, war es nicht weniger anstrengend. Die größte positive Überraschung war die beinah gespentische Ruhe auf den Straßen. Kaum ein Auto bekam ich zu sehen. Der absolute Radfahrhimmel.

Die Sonne ballerte ordentlich vom Himmel und das erste mal konnte ich alle Kleidungsschichten ablegen. Nach einer steilen Abfahrt spuckte mich eine schmale Gasse direkt an einem kleinen Tante-Emma-Lädchen aus. Der ideale Zeitpunkt für das nächste Prosciutto-Provolone-Brötchen! Direkt gegenüber war eine schattige Bank mit Ausblick auf Berge, Täler und das Meer! Wer hier keine Pause macht, ist selber schuld.

Die kräftige Frau hinter der Theke kümmerte sich vortrefflich um mich: Wie viele Scheiben Käse, wie viel Schinken? Und dazu half sie mir bei der Wahl des richtigen Brotes.
Die somit gewonnene Energie wurde auf dem darauf folgenden langen, aber herrlich zu fahrenden Anstieg wieder verbraten. Am Ende des Bergs lud ein Café an der einsamen Bahnstation zur Pause ein. Espresso, Gummibärchen, und weiter. Es war der erste Espresso seitdem ich auf dem Rad saß. Einer von sehr viel die folgen würden. Dolce Vita!

Auf angenehmen Steigungsprozenten wurde ich immer weiter nach oben katapultiert. Wenn die Berge oder der Wald den Blick freigaben, eröffneten sich sagenhafte Ausblicke auf die schier unendliche Berglandschaft Sardiniens. Das Highlight waren die verschneiten Gipfel in der Ferne.
Ich dachte über einen weiteren Schlenker in die Berge nach, aber meine Provianttaschen signalisierten mir ein klares Nein. Ich hätte keinerlei Verpflegungsmöglichkeiten gehabt.

Am Nachmittag fand ich mich dösend auf einer Steinbank vor einer Kirche wieder. Interessant wie gemütlich eine Steinunterlage sein kann, wenn man den ganzen Tag Fahrrad fährt. Ich musste warten, bis der Supermarkt öffnete. Zwei Stunden um zu ruhen, nachzudenken, zu schlafen und meine Umgebung zu beobachten. Zumindest dort wurde ich meinem Motto “es diesmal langsam angehen” zu lassen gerecht.

So war das also vor langer, langer Zeit, als man noch kein Smartphone hatte und auch kein Buch für den schnellen Zeitvertreib greifbar war. Für diese Tour hatte ich mich bewusst dazu entschlossen keinerlei konsumierbare Medien mitzuführen. Natürlich hatte ich mein Telefon, aber auf Radtour heißt es bei mir stets Akku sparen. Das Handy auf Radreisen dient allein der Navigation, Bilder machen und um im Notfall Hilfe zu rufen. Manchmal habe ich auch Kopfhörer dabei, um abends im Zelt ein wenig Musik zu hören. Das war´s. Aber dieses Gefühl absolut raus zu sein, abgeschnitten und auf nichts und niemanden reagieren zu müssen, ist unschlagbar und ich lege jedem ans Herz das mal auszuprobieren. Und sei es nur für einen Tag.

Im Umkehrschluss verbrachte ich viel mehr Zeit mit dem Schreiben. Schon allein das Bewusstsein nur das Schreiben als aktive Ablenkung zu haben, wenn ich nicht auf dem Rad saß, bewirkte, dass ich meine Umgebung und Erlebnisse bewusster wahrnahm. Schließlich wollte ich ja darüber berichten. Sonst habe ich immer noch etwas zum Lesen dabei. Diesmal sind meine Tagebucheinträge länger und trotzdem ordentlicher als sonst.

Das Nickerchen auf dem Kirchvorplatz weckte kreative Energien und ich hielt einige Eindrücke der bisherigen Reise bildlich fest. Danach bewegte ich mich gemächlich in Richtung des Supermarktes.
Ich wusste, dass es noch eine Weile dauern würde bis der Markt sein Blechrollo öffnen würde, doch still sitzen und nichts tun war noch nie meine Stärke. Also beobachtete ich das stetig zunehmende Treiben auf den engen Gassen. Das Ende der Siesta war greifbar und so langsam erwachte der Ort für den zweiten Teil des Tages.

Trotz meiner absoluten Topposition, betrat ich das Geschäft nur als Zweiter. Eine Dame hatte es scheinbar noch dringender nötig, als ich.
Nach den unzähligen Käse-Schinken-Brötchen, änderte ich das Menü und entschied mich für die pizzagroße, papierdünn geschnittene Mortadella.
Die Weiterfahrt erfolgte auf einer für den Verkehr gesperrten Straße an einem Berghang entlang. An den metergroßen Kratern, Rissen und Abbruchstellen war auch ersichtlich weshalb: Die Straße war akut einsturzgefährdet.


Abgesehen von Schlaglöchern, Steinschlag und dem bröckelnden Abhang zu meiner Rechten, gab es noch weitere Hindernisse. Ziegen und Kühe besiedelten die Hänge und hinterließen reichlich Mist auf der Straße.
Die untergehende Sonne warf den Schatten der steilen Bergwände auf die Straße. Es wurde sofort kühl. Zur anderen Seite konnte ich den Ausblick auf das Meer genießen. Auf halbem Weg zum nächsten Dorf eröffnete sich eine gute Gelegenheit mein Lager aufzuschlagen. Durch die Berge war ich einigermaßen vom böigen Westwind geschützt, dennoch pfiff mir die kalte Abendluft um die Ohren. Mit Ausblick auf das Meer, erhoffte ich mir einen schönen Ausblick auf den Sonnenaufgang am nächsten Morgen.

Ich erwachte gerade noch rechtzeitig, um den glühenden Morgenhimmel sehen zu können. Kurz darauf versteckte sich die Sonne nämlich hinter einer geschlossenen Wolkendecke. Der Wind sorgte für ein trockenes Zelt und ich konnte mich schnell auf den Weg zum nächsten Ort machen, um einen Morgenkaffee zu genießen.

Als ich die erste Bar betrat, hatten die ersten Herrschaften bereits ihr erstes Bier intus. Oder war es das letzte? So genau lässt sich das um 9 Uhr morgens nicht sagen. Schließlich war ja Ostern.

Auf den belebenden Espresso folgte eine seichte, aber lange Kletterpartie auf über tausend Meter. Zunächst durch einen mystischen Wald aus Korkeichen, später mit schönen Ausblicken auf die zerklüftete Insellandschaft. Nur um diesen Anstieg in Relation zu bringen: Die höchste Erhebung, die ich dieses Jahr erklommen hatte, lag knappe 200m hoch.

Auf dem Weg nach oben begleiteten mich die Schriftzüge namhafter Radprofis, die sich im Rahmen des Giro d’Italia hier hochgestrampelt haben.

Die lang gezogene Abfahrt bot einen sagenhaften Ausblick auf ein weites Tal, das komplett von der Landwirtschaft beansprucht wurde. In der Ferne strahlte das Meer in der Mittagssonne. Damit hatte ich mein heutiges Zwischenziel direkt vor Augen. Also ging es von 1000 auf 0 Meter. Wie gewonnenen, so zerronnen.

Ich steuerte die für seine Buchten und Grotten bekannte Ortschaft Cala Gonone an. Eine steile, von Haarnadelkurven gesäumte Straße brachte mich direkt an die Küste. Wohlwissend, dass ich später wieder steil aus dem Ort hinausfahren musste, gönnte ich mir eine klassische Radfahrermahlzeit direkt am Wasser. Bier, Vanillecreme-Croissant und Pizza. Ungefähr in dieser Reihenfolge. Dolce Vita par execellence. Von oben brutzelte die Sonne, vor mir rauschten die Wellen in beruhigendem Rhythmus und die Luft war erfüllt von der frischen, salzigen Meeresluft. Genüsslicher lässt es sich wohl nicht speisen.

An dieser Stelle sei das wirklich hervorragende einheimische Bier namens Ichnusa erwähnt. Lecker Stöffche, wie man in meiner Heimat zu sagen pflegt. Es war das erste, aber nicht das letzte auf dieser Reise.

Mit leichtem Knall ging es auf einer anderen Straße wieder aus dem Ort heraus. Diesmal ohne Haarnadelkurven, dafür doppelt so steil. Zumindest verflüchtigte sich so mein leichter Schwipps. Angetan von dem Besuch am Meer, steuerte ich direkt die nächste Bucht an. Dort fand ich einen einsamen Strand, der zum Verweilen einlud. Die Sonne wurde allmählich für Wolken eingetauscht und es herrschte drückende Hitze.

Über einen schmalen Pfad, der zu Fuß erklettert werden musste, gelangte ich zur nächsten Bucht. Von dort aus konnte ich meine Reise auf der Straße fortsetzen. Natürlich ging es nun wieder nach oben. Ich spürte die bereits zurückgelegten Höhenmeter des Tages und die immer wiederkehrenden steilen Rampen konnten nur durch höchste Kraft- und Willensanstregung überwunden werden. Es war ein unästhetisches Reißen, Stampfen, Ziehen und Drücken, aber irgendwie bewältigte ich jede Steigung, ohne absteigen zu müssen.

Irgendwann war die “letzte” Kuppe wirklich die letzte Kuppe und ich fand mich im Ort Dorgali wieder. Mittlerweile sah es stark nach Regen aus. Als ich vom Rad stieg um in den Supermarkt zu gehen, wehten die ersten Tropfen herüber. Eigentlich waren meine Transportkapazitäten bereits ausgeschöpft, aber ein Käse-Schinken-Brot musste noch irgendwo Platz finden.

Nach der schnellen Einkaufstour, zeigte sich der Himmel bereits wieder freundlicher. Ich setzte meine Fahrt fort um ein geeignetes Nachtlager zu finden. Es war Karfreitag und die Landwirte beackerten im wahrsten Wortsinn bis zum letzten Tageslicht ihre Felder. Die Ruhe nachdem der letzte Motor austuckerte war ein Segen. Am Ende eine Feldwegs, inmitten all der Bauernhöfe, verbrachte ich die Nacht.

Es wurde eine lange, lange Nacht. Ob es am Wind, am hell leuchtenden Vollmond oder aus der Kombination von beidem lag, konnte ich nicht sicher sagen. Jedenfalls war ich am Morgen müder, als am Abend zuvor.
Beim Zeltabbau erwischten mich doch tatsächlich wieder ein paar Regentropfen. Allerdings sollte mich das wohl eher auf den Regenbogen aufmerksam machen, als mich ernsthaft nass zu machen.

Über kleine Straßen, die nicht breiter als ein Feldweg waren, ging es durch malerische Frühlingslandschaften. Der Goldregen stand in voller Blüte und erfüllte die Luft mit seinem süßlich-schwerem Duft. Egal wohin man blickte, überall sah man die leuchtend gelben Farbtupfer der Natur.

Ich mühte mich einen unendlich scheinenden Anstieg hinauf. Jedes Mal wenn die Straße etwas abflachte, glaubte ich das Ende erreicht zu haben. Doch die Straße stieg immer wieder aufs Neue an. Als ich dann wirklich den Bergkamm erreichte, musste ich gegen einen unangenehmen Seitenwind ankämpfen. Auf der gefährlichen Abfahrt forderte mich nicht nur der Wind, sondern auch Sand, Kies und unzählige Schlaglöcher heraus.

Endlich im Tal angekommen, hatte ich den kräftig blasenden Wind in meinem Rücken. Die heftigen Böen peitschten mich im Affenzahn und auf gutem Straßenbelag nach vorne. Erstmals traf ich auf andere Radfahrer. Und das gleich in Mannschaftsstärke. Auch auf Sardinien gilt: Das Wochenende ist zum Radfahren da!

Mein Tank war schon lange leer, aber ich wollte in Ruhe und geschützt vom Wind eine Pause einlegen. Der nächste Ort war im Nu erreicht. Hungrig wankte ich in einen aus allen Nähten platzenden Supermarkt. Die akute Folge meines ausgehungerten Zustands in dem überfüllten Laden war die absolute Überforderung. Der Heißhunger überwältigte mich und ich kaufte ein ganzes (!), frisch gerilltes Brathähnchen an der heißen Theke. Nicht wissend wie dieser Tag enden würde, war das ein überaus cleverer Einkauf.

Vom Supermarkt rollte ich noch ein paar Kilometer weiter in den Küstenort mit dem wohlklingenden Namen San Giovanni.
Dort fand ich ein windgeschütztes Plätzchen direkt am Wasser. Nicht nur schön, sondern auch praktisch, da ich mir nach dem fettigem Mahl die Fett verschmierten Finger und Schnute waschen konnte. Wasser würde ich später aber noch reichlich bekommen…

Ein Knick in der Straße und so wie ich die Richtung änderte, schlug das Wetter um. Regen von allen Seiten. Zum Glück fuhr ich gerade durch einen Ort. Durch die Regenströme strahlte mir eine mannshohe Eistüte entgegen. Natürlich war die Eisdiele geschlossen. Doch die überdachte Terrasse bot zumindest etwas Schutz vor dem peitschenden Regen. Als Trost für den ausbleibenden Kaffee oder dergleichen fand ich frei zugängliche Steckdosen, an die ich Telefon und Ladebank schließen konnte.

Im Nu strahlte die Sonne und sogar die Straße war im Nullkommanix getrocknet. Genauso schnell erspähte ich die nächste dunkle Wolkenfront.Ein Restaurant am Straßenrand lieferte den ersehnten Nachmittagsespresso. Mit dem dritten Kaffee an diesem Tag besserte ich immerhin meine Koffeinbilanz für diese Reise auf.

Kurz nachdem ich die Fahrt wieder aufgenommen hatte fing es erneut zu regnen an. Ich stellte mich abermals unter und wartete auf das Ende des Schauers. Diesmal war es wirklich nur ein kurzer Schauer und als die Sonne wieder schien, setzte ich meinen Weg wohl gesinnt fort.

Der nächste Anstieg. Der nächste Regen. Es begann mit kaum wahrnehmbaren Niesel, doch mit jedem gefahrenen Höhenmeter verdichteten sich die Tropfen. Und sie waren kalt! Wie eisige Nadelstiche betäubte der Regen zunächst Gesicht und Hände und wenig später meine Füße. So, als seien sie nur noch nutzlose Anhängsel meines vor Nässe triefenden Körpers.

Natürlich drehte sich jetzt alles darum einen Schlafplatz zu finden. Und das schnell. Ausnahmezustand: Nahe der Verzweiflung bog ich in jede sich mir bietende Abzweigung ein. Das Ergebnis fiel jedes mal negativ aus. Nichts und wieder nichts.

Mir war so kalt! Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen war im reinen Überlebensmodus. Auch wenn das maßlos übertrieben klingen mag, aber genau so fühlte es sich für mich an.

Irgendwann dann mal ein längerer Feldweg. Hoffend fuhr ich immer weiter und weiter, in der Hoffnung nicht gleich wieder umkehren zu müssen. Und tatsächlich bot sich dort die herbeigesehnte Gelegenheit endlich mein Lager aufzuschlagen.

Mittlerweile kann ich mein Zelt innerhalb weniger Minuten aufbauen. Doch an diesem Tag war das Zelt trotzdem nass.

Ich weiß nicht, wie häufig ich diesen unangenehmen Ablauf schon durchexerziert habe, aber anscheinend oft genug, um nicht mehr darüber nachdenken zu müssen: Sachen ins Zelt, Klamotten ausziehen, abtrocknen, trockene Sachen anziehen und ab in den Schlafsack. Dann essen und versuchen wieder warm zu werden.

Und wie ich mich jetzt über das verbleibende halbe Hähnchen freute! Was für ein Festmahl. Die verbleibenden Kekse und was ich sonst noch so alles gebunkert hatte mussten auch dran glauben. Aber soviel ich auch in mich stopfte, mir wurde nicht warm.

Es war erst früher Abend und ich war nicht müde. Dennoch schloss ich die Augen, sehnlichst hoffend, dass ich mich besser fühlen würde, wenn ich die Augen das nächste Mal öffnete. Die Nacht bestand aus einem Gedanken zermürbenden Wechsel von Wind und Regen. Immer wieder stürmte es und Tropfen prasselten auf mein Zelt. Immerhin war mir wieder warm.

Zuerst musste ich mich unter enormer Willensanstrengung der Witterung stellen. Zwar nieselte es nur, aber die Feuchtigkeit saß mir noch immer in den Knochen. Fröhlich grüßende Farmarbeiter tuckerten auf Pick-ups und Crossmaschinen an mir vorbei. Der Geruch von Öl und Benzin erinnerte mich sofort an die längst vergangene Zeit, als ich auch noch so eine Höllenmaschine unter dem Hintern hatte.

Nachdem ich das pitschnasse Zelt eingepackt hatte und endlich auf dem Rad saß, fühlte ich mich schon direkt besser. Ein Fetzen blauer Himmel und sogar ein Regenbogen ließen mich auf bessere Bedingungen hoffen. Ich interpretierte das Schauspiel am Himmel als eine Art Entschuldigung für die erschwerten Bedingungen am Abend zuvor. Einzig der fast eisige Wind trübte die Radfahridylle an diesem Tag. Die erste Kaffeebar war nicht weit und dankbar kippte ich den belebenden Espresso weg. Weniger dankbar schien die verschlafene Wirtin, die ich gerade bei ihrer Zigarettenpause unterbrach. Aber ganz pflichtbewusst spulte sie das unzählige Male durchgeführte Bewegungsprogramm für einen Kaffee ab: Kaffeepulver in den Aufnehmer, stempeln, einsetzen, drehen, Knopf drücken und im selben Moment die Tasse unter den Auslauf stellen bevor sich das schaumig-dunkle Gebräu in die vorgewärmte kleine Tasse ergoss.

Als ich kurze Zeit später wieder gegen den eisig fauchenden Wind ankämpfte, wusste ich was ich in der stickigen, aber warmen Bar hatte. Sie seitlichen Böen rissen mir mehrmals fast den Lenker unter den Händen weg. Zudem bereitete mir der Blick voraus etwas Sorgen, denn der Gipfel, den ich ansteuerte, war von bedrohlich dunklen Wolken umgeben. Glücklicherweise blieb es bei den wenigen Tropfen, die ab und zu rüber geweht kamen.

Leider wurden meine Hoffnungen auf einen Supermarkt enttäuscht. Aber immerhin fand ich eine Bäckerei. Drei Jugendliche verbrachten in der warmen Stube ebenfalls ihre Zeit und verdrückten wie ich ein paar Stücke Pizza und die reichhaltige Auswahl an Plätzchen und Keksen. Aus Mangel an Alternativen packte ich mir das gleiche nochmal als Proviant an.

Nach der erholsamen Pause in der gemütlichen Bäckerei, fühlte sich der kalte Wind noch viel unbequemer an. Es war Ostersonntag und kaum eine Menschenseele war zu sehen, was zum grauen Wetter passte und die einsame Atmosphäre noch verstärkte. Es fühlte sich so an, als gäbe es nur den pfeifenden Wind und mich.

Die Stimmung wendete sich zum besseren, als ich auf einen holprigen Feldweg einbog. Hier und da riss die Wolkendecke auf und ich fuhr durch eine märchenhafte Landschaft aus Korkeichenwäldern und moosbewachsenen Mäuerchen aus Vulkangestein. Es blieb jedoch frisch: Obwohl es bereits Nachmittag war, musste ich noch immer Handschuhe, Halstuch und Kapuze tragen, um warm zu bleiben. Schuhe und Socken waren kaum getrocknet, da ging es durch zwei Bäche, die wesentlich tiefer waren, als zunächst ersichtlich. Aber egal, inmitten dieser schönen Gegend kehrte der Fahrspaß zurück.

Nach dem obligatorischen Gatter am Ende des Weges war ich auf einer einsamen Straße, die aber ebenso schön zu fahren war. Rollende Hügel und glatter Straßenbelag sorgten für schnelles Vorankommen. Das erste Mal an diesem Tag, der Wind endlich nicht mehr in mein Gesicht blies und nachgelassen hatte. Wurde auch Zeit. Wieder eröffnete sich der Ausblick auf die unschlagbare Kombination aus Meer und Bergwänden, an der ich mich einfach nicht satt sehen konnte.

In einer verschlafenen Ortschaft konnte ich dann endlich wieder für Abwechslung in meiner Ernährung sorgen. Dafür kippte ich beim einklicken in die Pedale mal wieder um. Es blieb bei einem Kratzer am Bremshebel.

Zwischen Wiesen, Ziegen und einem traumhaften Ausblick auf die vor Leben spriesende sardische Frühlingslandschaft, beendete ich den Tag und schlug mein Lager in einer halbwegs windgeschützten Ausbuchtung am Wegesrand auf. Ohne den Wind, spürte ich dort auch endlich wieder die Wärme der Sonne. Ein versöhnlicher Tagesabschluss.

Da ich noch immer unentschlossen und unsicher bezüglich meiner Routenplanung war, kam ich nicht umhin mein Handy einzuschalten und die Wetterapp abzurufen. So lernte ich zwei Dinge: Zum einen habe ich heute gegen Windgeschwindigkeiten von 90 km/h angestrampelt und zum anderen würde ich die Windbedingungen ausnutzen, um entgegen meines nicht vorhandenen Plans wieder nach Cagliari zurückzufahren (ursprünglich hatte ich mit einer Zugfahrt geliebäugelt).

Zum Abendessen verdrückte ich alles was noch da war und somit ging ich mit der Gewissheit ins Bett am Morgen kein Frühstück zu haben. Aber hungrig einzuschlafen war auch keine Option. Leider folgte eine weitere eiskalte Nacht. Immerhin strahlte wieder blauer Himmel. Angespornt in der Kleinstadt Nuoro meinen unsäglichen Appetit zu stillen, nahm ich zunächst die knackig kühle Abfahrt in Angriff. Danach ging es auf einer ruhigen und offensichtlich bei Rennradfahrern beliebten Strecke hinauf nach Nuoro. Ich weiß nicht, wo ich die Energie hernahm, aber die Vorfreude auf ein üppiges Frühstück und die zahlreichen Radler, die den Ostermontag für eine Radausfahrt nutzten, trieben mich zu gefühlten Höchstleistungen. Entsprechend schnell war der Berg gemeistert und ich konnte meine volle Konzentration auf die Essensbeschaffung legen.

Die ersten Geschäfte und sogar Cafés waren schon mal geschlossen. Mist. Ich fragte eine Frau nach einem Supermarkt und sie bedeutete mir, dass die Geschäfte heute geschlossen haben würden. In den vergangenen Tagen hatte ich Aufmerksam die Öffnungszeitn-Schilder der Supermärkte und Bäckereien für die Feiertage studiert und war mir demnach sicher hier und heute einen geöffneten Supermarkt zu finden. Doch so langsam bröckelte meine Zuversicht. Und mein Appetit wurde auch nicht kleiner.

Dann fand ich den ersten Supermarkt. Und tatsächlich war dieser zu. Es war auch keine Schild mit Öffnungszeiten zu sehen. Die schwindende Sicherheit nahm nun panikartige Züge an. Am Ende einer kleinen Gasse wartete ein großer, leerer Parkplatz und das nächste Lebensmittelgeschäft. Ein Mann, der gerade zu seinem Auto zurücklief, das einzige auf der Parkfläche, antwortete auf meine Frage Aperto? mit einem kopfschüttelnden Chiuso.

Und trotzdem stellte ich mein Fahrrad ab, ging zu den elektronischen Schiebetüren und – siehe da: Sie öffneten sich! Mitarbeiter des Geschäfts waren damit beschäftigt Waren einzuräumen und blickten mich an wie einen unerwarteten Gast. Immernoch unsicher fragte ich in die Runde: Aperto? Lachend, nickend und einladend gestikulierend antworteten sie mir mit mehrfachen Si, claro! Man hörte den Stein, der in diesem Augenblick von meinem Herz plumpste.

Überfordert mit der Auswahl an Nahrung und völlig unterzuckert dauerte der Einkauf deutlich länger als üblich. Das anschließende Frühstück aber auch.

Den Großteil meines üppigen Einkaufs habe ich mir auf einer sonnigen Parkbank quer reingeschoben. Danach wollte ich natürlich einen Kaffee trinken. Mittlerweile kehrte Leben auf den Straßen und in die Stadt ein. Warum auch immer habe ich mir das lauteste, stressigste und vollste Lokal ausgesucht. Der Fernseher dröhnte auf maximaler Lautstärke. Entsprechend lauthals verliefen die Unterhaltungen in bis zum letzten Platz gefüllten Laden. Und in Italien beschränkt sich das Gespräch nicht auf einen Tisch, da wird auch gerne mal durch den ganzen Laden geschrien. Man kennt sich.

Ausgelaugt von dieser Reizüberflutung, dafür mit vollem Handyakku, einer gebuchten Unterkunft für Cagliari, vollständiger Routenplanung und einer gesendeten Anfrage zwecks Fahrradkarton, setzte ich die Reise fort. Das finale Stück sollte möglichst durch die Berge gehen und auf der dünner besiedelten, östlichen Inselseite verlaufen.

Es herrschte mehr Verkehr als in den vergangenen Tagen und trotzdem konnte man immer noch von traumhaften Radfahrbedingungen sprechen. Das Wetter spielte ebenfalls mit und ich war das zweite mal auf dieser Tour in kurz-kurz unterwegs. Da ich die verbleibende Route nach Cagliari durchgeplant hatte, wusste ich was mich in Sachen Distanz und Höhenmetern erwartete. Als Tagesziel wollte ich lediglich unterhalb der Tausendmetermarke bleiben. Allein aus dem Grund, weil ich nicht ein weiteres mal den gefühlten Kältetod sterben wollte. Klingt einfach, war es aber nicht. Als Folge machte ich aber gehörig Strecke. Die Sonne knallte dermaßen vom Himmel, dass meine Oberschenkel einen leichten Rotstich aufwiesen. Oder war es, weil ich so emsig gestrampelt habe? Wohl eine Mischung aus beidem. Der Sonnenbrand würde vielleicht für genügend Wärme sorgen, um nicht wieder zu frieren.

Noch 130 Kilometer bis Cagliari. Dazu hatte ich den Großteil der Höhenmeter bereits gestern hinter mich gebracht. Wider erwarten bin ich nicht erfroren und rollte auf längeren Abfahrten in den vorletzten Radfahrtag hinein. Es folgten zwei zähe Anstiege, die jeweils durch eindrucksvolle Brücken eingeleitet wurden.

Grober Straßenbelag und Gegenwind erschwerten das Vorankommen. Aber landschaftlich wurde ich einmal mehr verwöhnt. Ohne zu viel vorwegnehmen zu wollen, aber wahrscheinlich gibt es auf Sardinien nur zwei Dinge die schwer oder gar nicht zu finden sind: Hässliche Landstriche und ein Radkarton. Aber mehr dazu später.

Es war mal wieder Zeit für ein belegtes Brötchen. Bank, Brunnen, Brötchen. Die perfekte Pause. Unterdessen erhielt ich eine Absage auf meine Radkartonanfrage. Aber das wäre ja auch zu einfach gewesen. Und plötzlich, hinein in die idyllische Mittagsruhe: Aufruhr in einer Bar neben dem kleinen Park.

Erstmal wurde es laut. Eine Diskussion. Dann Geschrei. Plastikstühle wurden energisch aus dem Weg geräumt oder geworfen. Dann verlagerte sich das Schauspiel nach draußen. Zwei Männer und eine Frau, die vergeblich versuchte den Kampfhahn von seinem Opfer abzuhalten. Dann die Flucht. Man hätte es sich nicht besser ausdenken können, aber der klapprige Ford Fiesta stotterte nur und startete nicht. Mit vollem Körpereinsatz versuchte die Frau den immer noch hochrot rüpelnden Angreifer aufzuhalten. Gerade noch rechtzeitig bekam der Kollege seine Karre zum laufen und verlies mit qualmenden Auspuff die Szene. Weitere Beschwichtigungsversuche seitens der Frau schienen vergebens und auch der zweite Mann stieg in sein Auto. Der Frau blieb nur das verbleibende Chaos in der Lokalität aufzuräumen. Zum einen war das erstklassige Pausenunterhaltung, aber auf der anderen Seite war ich beschämt dieses offensichtliche Beziehungsdrama so hautnah mitbekommen zu haben.

Anschließend rollte es sanft auf und ab und ich konnte mit ordentlich Druck fahren. Der letzte Abend unterwegs stand bevor und natürlich wollte ich dieses Ereignis mit einem einheimischen Kaltgetränk beenden. In einer Ortschaft die gerade aus der Mittagsruhe erwachte, fand ich eine Bar. Vier Männer lungerten vorm dem Eingang und grüßten mich. Ich lies mein bestes italienisch vom Stapel und fragte: Aperto? Woraufhin mir mit Schulterzucken geantwortet wurde. Hä? Die Stammsäufer wissen nicht wann ihre Bar aufmacht? Wahrscheinlich war Zeit unwichtig und ihr Tagesablauf richtete sich nicht nach der Uhr, sondern nach der geöffneten oder geschlossenen Bar. Aber ich will nichts unterstellen, denn nett waren sie allemal.

Ein Fiat Panda kam angetuckert und die Männer bedeuteten enthusiastisch: Patron, Patron! Das musste also der Chef sein. Ich wurde mit Handschlag begrüßt. Kaum hatte ich auf einer speckigen Ledercouch Platz genommen, war der Laden voll. Aus einer Hand voll wurde Mannschaftsstärke. Natürlich ausschließlich Männer.


Noch einen Augenblick später: Espressi schossen aus der Maschine, Milch wurde aufgeschäumt, Bierflaschen geöffnet und serviert. In Nullkommanix hatte jeder sein Getränk. Natürlich konnte ich in der Feierabendstimmung nicht bei meinem Kaffee bleiben und stieß ebenfalls mit den Einheimischen an. Und nicht mit Kaffeetassen.

In diesem Augenblick wurde mir dann auch bewusst, warum man in Italien durchweg guten Kaffee bekommt. Es ist schlichtweg die Erfahrung. Hier stehen nämlich keine 19-jährigen Studenten hinter dem Tresen, die für 8,50 Euro die Stunde ihr Partybudget aufbessern. Und übrigens: Guten Kaffee gibts auch für 80 Cent.

Letzter Abend im Zelt. Das schrie nach Bier. Also nahm ich auch noch eins für den Weg. Und wie es dieser perfekte Radfahrtag so wollte fand ich nur wenig später einen geeigneten Zeltplatz. Besser ging es nicht: 17 Uhr, leicht einen sitzen und ein ruhiges Plätzchen mit obligatorisch herrlicher Aussicht.

Noch ein letztes Mal sog alles in mich auf: Den Klang der läutenden Kirchenglocken, den Duft aus kräutrigen Wildblumen, Dünger und Mist, die Hirtenrufe und das damit einhergehende muhen, mähen, blöken, sowie das goldene Licht der untergehenden Sonne, stets begleitet von Hundegebell. Natürlich kam auch nochmal ein Bauer an meinem Zelt vorbei, der wie immer freundlich grüßte.

Ironischerweise begannen die finalen 50 Kilometer in die Hauptstadt, wie der erste Morgen auf Sardinien begonnen hatte: In einer grauen Suppe aus Nebel. Doch diesmal konnte ich diesen Schönheitsfehler verschmerzen. Ich hatte einen guten Schlaf, der nur durch ein paar Regenschauer in der Nacht gestört wurde und gefroren hatte ich auch nicht.
Während ich mich auf einer sich einsam windenden Straße durch den Viehdung schlängelte, kämpfte sich die Sonne hervor. Auf den letzten Weg-Espresso folgten 15 eher stressige Kilometer nach Cagliari. Es herrschte viel Verkehr. In der Nähe meiner Unterkunft war ein Radladen, den ich spontan ansteuerte. Ich wurde enttäuscht. Wieder keine Box für mich. Der Signore war aber so hilfsbereit um in einem anderen Laden anzurufen und für mich nachzufragen. Es war ein erstaunlich langes Gespräch für eine simple Frage. Entsprechend gering waren meine Erwartungen. Ich würde keine Box bekommen, aber für den Spottpreis von 20 Euro würden sie mir Rad und Equipment fachgerecht verpacken! Deal! Aber sowas von.

Jetzt konnte ich mich so richtig entspannen. In den kommenden Tagen gab ich mich vor allen den genüsslichen Angeboten der Stadt hin. Pizza, Pasta, Cornetti, Vino, Espresso, Birra, Gelato, zumindest die Vokabeln für Lebensmittel sitzen. Zwischendurch wanderte ich planlos durch die verwinkelte Stadt und versuchte so gut es ging, die Sonne und das italienische Lebensgefühl zu verinnerlichen. Grazie, Sardegna. Alla prossima volta!