Sonne, Palmen, Strand, Meer und heiße Hula-Mädchen. Denkst du! Tatsächlich beheimatet die Big Island von Hawaii die regenreichste Stadt der Vereinigten Staaten. Aber alles halb so wild – bislang. Ich habe noch nicht viel Regen gesehen und bevor mit dem November der feuchteste Monat kommt, bin ich auch schon wieder weg. Meinen Geburtstag habe ich schließlich oft genug bei miesem Wetter verbracht.
Morgen früh geht es Richtung Mauna Kea. Mein Ziel bis ganz auf den Gipfel zu radeln wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht verwirklichen lassen, da nach dem Besucherzentrum auf knapp 2900 Metern Höhe eine etwa acht Kilometer lange Sand und Buckelpiste zu überwinden ist. Danach ist die Straße wieder asphaltiert. Aber ich werde sehen wie es geht. Wenn eine Camping-Möglichkeit vorhanden wäre, hätte ich das Rad auch da hochgeschoben, aber da dies leider nicht der Fall ist, wird es vermutlich beim Besucherzentrum bleiben.
Vielleicht nimmt mich ja jemand mit und dann kann ich das letzte Stück nach oben strampeln. Wenn ich noch genügend Kraft und Motivation aufbringen kann. Immerhin sind Passagen von bis zu 18% zu überwinden. Und da ich ungern halbe Sachen mache, fahre ich natürlich mit meinem Reisegepäck da hoch. Ohne kann ja jeder. Wenigstens bleibt es dann warm bei 5-10 Grad. Ich werde wohl alle Kleidungsstuecke anziehen, die ich im Gepäck habe.
Wie bin ich überhaupt in Hilo gelandet? Meine vorzüglichen Gastgeber Jack und Yvonne haben mich nochmal richtig verwöhnt. Gemeinsam mit den Nachbarn Iami und Moonshine (Ja die zwei älteren Damen waren sehr, sehr, sehr alternativ unterwegs) gab es ein richtiges Abschiedsdinner. Selbstgemachte Zitronenlimonade mit Vodka zum aufwärmen, dazu wieder ein frischer Guacamole-Dip mit Nachos.
Als Vorspeise ein Salat mit Birnen, Blauschimmelkäse, Macadamianüssen und Joghurt-Mohndressing. Danach folgte gegrillte Hähnchenbrust an Spinat-Oliven-Pasta mit getrockneten Tomaten. Und zu guter letzt ein Marzipankuchen. Ich konnte mich wahrlich nicht beschweren. Nach diesem zünftigen Dinner konnte ich am nächsten Morgen ordentlich in die Pedale treten.

Es ging bergauf. Und nicht zu knapp. Von Kapa’au ging es über die sanfter ansteigende Kinnersley Road auf die Hawi Road, die zur Kohala Mountain Road wird (Highway 250), nach Waimea. Ein unrhythmischer Anstieg über eine wunderbar ruhige Straße.

Die grünen Wiesen, Kühe und Felder erinnerten mich doch stark an heimische Gefilde. Bayern oder Österreich. Nur der Blick aufs strahlend blaue Meer und die erfrischende salzige Luft verieten mir, dass ich tatsächlich auf Hawaii Fahrrad fahre. Beim gelegentlichen Blick zurück konnte ich in der Ferne die über die Wolkendecke reichenden Berge der Nachbarinsel Maui erspähen.

Auf knapp halbem Weg ging es durch einen Pinienwald. Zu meiner Rechten öffnete sich plötzlich der Blick auf ein Kürbisfeld. Kürbisse in allen Farben, Formen und Größen. Halloween steht vor der Tür und hier oben kann man den Kürbis seiner Wahl einpacken. Ich nutzte die Gelegenheit für ein zweites Frühstück und gönnte mir einen Bananenkuchen und ein griechisches Spinat-Feta-Blätterteig-Gebäck. Ja, in der Reihenfolge Warum es zwischen den ganzen Kürbissen kein Gericht mit Kürbis gab, sollte mir allerdings ein Rätsel bleiben.

Weiter ging es das letzte Stück hinauf und mit Überquerung des höchsten Punkts konnte ich den riesigen Mauna Kea mit seinen Sternwarten bestaunen. Es folgte eine der besten Abfahrten meiner Radtourkarriere: Perfekter Asphalt, keine Autos, super Ausblick, schönstes Wetter – Ein Traum in jeder Hinischt.

Im Tal erwartete mich Waimea. Erste Station war natürlich der Farmers Market. Bei den ganzen Leckereien konnte ich nur schwer widerstehen und schlug bei Kona-Kaffee-Plätzchen und Rosinen-Haferflocken-Cookies zu.
Wenige Kilometer hinter Waimea (vom Highway 250 ging es auf den Highway 19 in östlicher Richtung, auch: Hawaii Belt Road oder Mamaloah Highway) war ich auf dem alten Mamaloah Highway (parallel zum Highway 19 verlaufend) dann plötzlich in Neuseeland. Zumindest landschaftlich. Ebenfalls durch vulkanische Aktivität geprägt, finden sich in Neuseeland sehr ähnliche Landstriche: Grüne Hügel, die hier und da von Gesteinsformationen unterbrochen werden.

Als Etappenziel hatte ich den Kalopa State Park auserkoren. Doof, dass ich nicht vorher wusste, dass ich dafür fünf brutal steile Kilometer erklimmen musste. Fluchend, stöhnend und leidend betete ich nach jeder Kurve und jedem Schild, dass es endlich vorbei ist. Nach einer gefühlten Unendlichkeit und schweren Beinen habe ich es dann doch geschafft. Völlig allein erkundete ich auf einer abendlichen Wanderung den Urwald und snackte an den überall herumliegenden Guavefrüchten. Nach dem anstrengenden Tag ging es früh in die Kiste…

In der frischen Morgenluft machte ich mich früh auf die schnelle, steile Abfahrt. Zwischendurch sammelte ich noch eine Avocado und ein paar Macadamianüsse ein. Jo, einfach so.
Zurück auf dem Highway 19 ging es dann über den Highway 240 nach Honokaa. Ein verschlafenes Örtchen an der Nordostküste. An diesem Sonntag scheinbar noch verschlafener als sonst. Also fuhr ich zunächst zum Waipio Valley.

Dort hätte ich zu gerne den Muliwai-Trail bewandert. Aber schließlich entschied ich mich aufgrund des zu großen logistischen Aufwands wegen meines Rads und Gepäcks gegen diese sicherlich schöne Wanderung und bestaunte lediglich den herrlichen Ausblick auf das Tal und die wettergegerbten, grünen Klippen.
Hinaus aus dem Tal hielt ich auf dem Rückweg dann in Honokaa und schaute dem Ort beim langsamen Erwachen zu. Nachdem ich mir den ganz persönlichen Koffeinkick gegönnt hatte, schwang ich mich in den Sattel und machte ich auf den Weg nach Laupahoehoe. Im dortigen Beach Park sollte ich Halt machen.

Dort angekommen gefiel es mir so gut, dass ich sofort entschied auf jeden Fall noch einen Tag dort zu bleiben. Ich hatte mal wieder großes Glück zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und wurde zu einem großen Familienfest eingeladen. Das bedeutete vor allem Essen ohne Ende. Mit vollem Magen bekam ich abschließend noch einen Teller fürs Abendessen und Pancakes, mein Favorit, fürs Frühstück. Verhungern sollte ich also nicht.

Das beeindruckenste an diesem Park waren für mich die kraftvollen Wellen, die sich an den vielen zerklüfteten Lavafelsen brechen. Eingerahmt wird das Tal wiederrum von Regenbewaldeten Hängen. Einen traurigen Beigeschmack bekommt Laupahoehoe allerdings durch seine Geschichte: Am ersten April 1946 wurde der Küstenabschnitt von einer Tsunami heimgesucht bei der insgesamt 160 Menschen ihr Leben ließen. Während Hilo die meisten Todesopfer zählte, fielen in Laupahoehoe 24 Menschen der Welle zum Opfer.

Meinen Ruhetag verbrachte ich mit der Erkundung der Gegend. Ich wanderte entlang der Lavafelsen in den Regenwald hinein und hoffte ein paar essbare Früchte zu finden. Ich entdeckte eine Art Walnuss und viele Kokosnüsse. Ich erinnere mich auf Samoa schonmal eine dicke Nuss genknackt zu haben. Mein Kindle hat leider den Geist aufgegeben und ich habe sonst nichts zu tun, als nahm ich mich einmal mehr der Herausforderung an und bearbeitete das Früchtchen.

Ohne Machete ist das nun aber wirklich ein größeres Unterfangen. Allein das Schälen verlangt einem alles ab. Das Knacken ist dann wieder eine Geschichte für sich. Aber nach 30 schweißtreibenden Minuten konnte ich im wahrsten Sinne des Wortes die Früchte meiner Anstrengungen genießen. Leckere Kokosmilch und anschließend das nahrhafte Fleisch der Nuss.

Nach Beobachten des Sonnenaufgangs (für mich gibt es nichts schöneres, als den Tag mit dem Sonnenaufgang zu beginnen) packte ich zusammen und radelte wieder weiter. Eigentlich wollte ich nur zum nächsten Strand fahren, aber dann dachte ich mir: Warum nicht schon nach Hilo fahren? KIS – Keep it simple – pflegte mein Chef im Yukon immer zu sagen…

Auf dem Weg nach Hilo liegen auch die Akaka Falls, die über 130 Meter in die Tiefe stürzen. Damit das Wasser so tief fallen kann, muss man aber auch erstmal wieder ein paar Höhenmeter überwinden. Im schmucken Örtchen Honomu tankte ich erstmal Energie in Form eines Ensemadas (Ich habe versucht im diesem Teilchen nachzuforschen, anscheinend gibt es verschieden Varianten je nach Land, vielleicht kennt sich da jemand besser aus?). Man könnte es auch Butter-Zucker-Schweinerei nennen. Jedenfalls sehr lecker und gute Qualität für den Radtouristen.

Nach den Wasserfällen nahm ich das letzte Stück nach Hilo in Angriff. Immernoch früh am Tag nutzte ich die Zeit um die Stadt ein wenig zu entdecken. Außerdem versuchte ich vergebens einen Laden zu finden, der mir ein Kindle verkauft. Pustekuchen. Aber Amazon ist ja sowieso böse und schlecht und man sollte da keine Bücher kaufen! Also ab in den gebrauchte-Bücher-Laden und ein weiteres Buch von John Grisham geschnappt, dass ich noch nicht gelesen habe (Ich wundere mich jedes Mal, dass ich wieder ein neues finde). Irgendwie habe ich Grisham zu meinem präferierten Autor für Reiselektüren auserkoren. Mag sein, weil ich bei meiner ersten alleinigen Reise in Südostasien so viel von ihm gelesen habe.

Die Nacht wollte ich eigentlich in einem der Beach Parks verbringen. Wunderschöner Rasen, direkt am Wasser. Besser geht es kaum, dachte ich mir zumindest. Ich war schon etwas skeptisch, dass ich der einzige an diesem Ort war, der ein Zelt aufschlägt. Schließlich befanden sich noch mehr Leute hier. Dann kam ich mit einem Paar aus Utah ins Gespräch, die sich gerade vom Acker machten und mit netterweise mitteilten, dass es keine gute Idee ist hier mein Lager aufzuschlagen.

Eigentlich schon bettgehfertig, musste ich lernen, dass der Park jeden Abend von einem Security-Menschen kontrolliert und geräumt wird. Das bedeutete für mich im Dunkeln meine Sachen zu packen, das Zelt abzubauen und einen neuen Schlafplatz zu suchen. Ätzend.

Glücklicherweise war um die Ecke ein Hostel, bei dem man auch campen konnte. Allerdings verstehe ich es nicht, warum man 15 Dollar zahlen muss, um sein Zelt aufzuschlagen. Aber das ist wieder ein anderes Thema.
Umgeben von dem ohrenbetäubenden Lärm der Coqui-Frösche verbrachte ich dennoch eine erholsame Nacht. Am nächsten Tag sollte ich dann bei Dave von Warmshowers unterkommen.
Auch hier hatte ich einmal mehr einen Volltreffer gelandet. Direkt am Wasser gelegen mit kleinem Strand und einem komplett eigenen Zimmer mit privatem Zugang, hatte ich mal wieder allen Luxus, den man sich wünschen kann.