Wortwörtlich auf den letzten Metern der Nullarbor hatte ich nochmal einen Platten. Kein Wunder, denn das Reifenprofil war nur noch zu erahnen. Würde die größte Kalksteinwüste der Welt doch noch zum “Highway to Hell” werden?* Zumindest fühlte es sich den Temperaturen nach so an wie die Hölle. Schweißüberströmt stand ich am Straßenrand und wurde von fast jedem vorbeifahrenden Auto gefragt, ob ich Hilfe benötigte.
*Immer wieder erstaunlich was Wikipedia zutage fördert
Ich hatte mich so sehr gefreut Norseman, die Ortschaft am westlichen Ende der Nullarbor zu erreichen. Irgendwie hatte ich mir ausgemalt, dass es ein besonderer Ort sein müsste. (Ein bisschen so wie die Zielankunft eines Radrennens: Mit Ziellinie und jubelnden Massen, die meine erfolgreiche Wüstendurchquerung feierten).
Die Realität war ein Haufen betrunkener Gestalten, die mich hilfsbereit zum bereits geschlossenen Supermarkt lotsten. Ein weiterer Beleg, dass Erwartungen der Ursprung aller Enttäuschungen sind. Also nochmal 200km warten, bis ich was anderes außer Weißbrot, Thunfisch, Couscous und Haferflocken zu beißen bekam – Nicht ganz! Am nächsten Tag begegnete ich einer polnischen Familie, die sich meiner kulinarischen Misere annahm. Während ich dem Mann ein Videointerview gab (kein Quatsch!), schmierte mir die Frau das definitiv beste Sandwich meines Lebens. Nach der aromatischen Einöde aus Haferflocken, Weißbrot, Cola, Eiskaffee, Couscous und Thunfisch, war die Kombination aus Mayo, Käse, Schinken und Salat ein geschmackliches Meisterwerk. Obendrein wurde ich mit diversen Tütensuppen versorgt.
Drei Wochen waren vergangen seitdem ich mich durch den stressig-stickigen Stadtverkehr von Sydney gekämpft hatte (und in Zuge dessen beinahe die Tour aufgegeben hatte!). Nun befand ich mich in Esperance und es lagen bereits 3300 Kilometer hinter mir. Unfassbar, was ich in dieser Zeit alles erlebt hatte. Ich hatte mir einige Tage Ruhe verdient.
Zuallererst musste ich mich jedoch um mein Fahrrad kümmern. Ich steuerte den Radladen an, um mir einen neuen Mantel und Ersatzschläuche zuzulegen. Prompt traf ich auf einen anderen Reiseradler. Der erste und einzige, seit ich den zwei Japanern eingangs der Nullarbor begegnet war.
Jean-Marc aus England hatte allerdings mit schwerer wiegenden Problemen zu kämpfen: Er wartete auf eine neue Felge. Wir hielten einen kurzen Radfahrertratsch und verabredeten uns im Hostel. Meine erste Unterkunft seit Verlassen Sydneys.
Jean-Marc hatte die “gefürchtete” Nullarbor noch vor sich. Es fühlte sich großartig an endlich in der Rolle des Tippgebers zu sein. Im Gegenzug bekam ich wertvolle Hinweise für meine verbleibende Strecke bis Perth. Und trotz unserer kurzen Bekanntschaft, würden wir nur zwei Jahre später eine gemeinsame Tour von Adelaide nach Darwin unternehmen.
Wie immer war das Wetter bestens. Sonnig und warm. Und dennoch zog ich es vor die meiste Zeit des Tages drinnen zu verbringen. Es war das erste Mal seit drei Wochen, dass ich mich solange in einem Gebäude befand. Geschweige denn in einem Bett (!) zu schlafen. Entsprechend überwältigt war ich auch von den damit einhergehenden Annehmlichkeiten: Sanitäre Anlagen, fließendes Wasser (soviel ich wollte und ich musste es nicht mit mir durch die Gegend schleppen). Strom, Fernseher, eine Küche und Kühlschrank…Es mag überflüssig erscheinen all diese “gewöhnlichen” hier aufzulisten, aber dennoch fühlte es sich schon nach so kurzer Zeit merkwürdig an, all das wieder um mich zu haben. Ohne ging es auch sehr gut.
Es waren nur wenige Gäste im Hostel und so fand sich am Abend schnell eine kleine Truppe die gemeinsam den Film Zombieland schaute. Eine Filmauswahl die ich alleine niemals getroffen hätte. Vor dem Hintergrund meiner elektronischen Enthaltsamkeit der vergangenen Wochen kam mir dieser Film noch surrealer und abgedrehter vor, als er so schon war. Seitdem wollte ich unbedingt Twinkies probieren. Als ich Jahre später eine Tour in den USA unternahm, wurde ich bitter enttäuscht. Den Film schaute ich mir trotzdem wiederholt an. Sicherlich mehr als Erinnerung an die wunderbare Zeit in Australien, als aus anderen Gründen.
Obwohl es sich im Hostel sehr gut aushalten ließ, brach ich schon am nächsten Morgen zum Cape Le Grand Nationalpark auf. Die Tour mutete mit rund 50 Kilometern als keine große Herausforderung an. Zu diesem Zeitpunkt war ich auch nicht mehr darauf aus. Mit meinen bis zum bersten mit Essen gefüllten Packtaschen, die nicht mal mehr zu schließen waren, wurde es doch nochmal ein Kraftakt. Mit der Ankunft Esperance verstand mein Körper, dass er sich nun ausruhen konnte. Der Trip zum Nationalpark war demnach ein Ringen zwischen Körper und Geist und machte die Sache fast zur Qual. Doch die Aussicht auf paradiesische Ruhe und Landschaften trieb mich an. Mantraartig waberten zwei Begriffe in meinem Kopf: Ausruhen und essen.
Und was für ein Paradies es war. Weiße Strände, türkisblaues Wasser, rost-rote Felsen und dazwischen grüne Büsche und Bäume. Am Strand vergnügten sich handzahme Kängurus und wenn ich am Morgen mein Frühstück am Strand einnahm, konnte ich Delfine bei ihrem vergnügten Treiben beobachten. Postkartenpanoramen wohin ich auch blickte. Aus einer Nacht wurden schnell zwei, dann drei.
Zu Fuß erkundete ich die umliegenden Strände und merkte dabei wie ausgepumpt ich war. Das Schwimmen im erfrischenden, kristallklaren Wasser belebte mein Gemüt. Auf einer felsigen Anhöhe verdrückte ich meinen Proviant und schlief auf den warmen Felsen während um mich herum das Meer rauschte und die salzige Brise angenehm kühlend wehte.
Zurück im Camp entdeckte ich Obst und Trinkpäckchen, die mir mein Zeltnachbar Trevor hinterlassen hatte. Ich hatte ihn am Vorabend kennen gelernt und von meiner Tour berichtet. Er gab mir weitere Tipps bezüglich Stopps und Routenplanung auf meiner Reise nach Perth. Später am Tag wurde Trevor durch Michael aus den Niederlanden ersetzt. Er hatte sich in seiner Jugend in diesen Kontinent verliebt und ist ebenfalls mit dem Rad durch Australien getourt. Mittlerweile hat er das Rad gegen einen Mietwagen und ein Kiteboard eingetauscht.
Es gab noch viel zu entdecken und so raffte ich mich am vierten Tag nach meiner Ankunft auf, um meine Reise fortzuführen.