Über Wasser, Hitze, Fahrrad-segelnde Japaner und Brot backen im Outback.
Da war ich endlich. Nach einem langen, etwa 2000 Kilometer langen Anlauf erreichte ich die weite Fläche der Nullarbor Ebene. Vor mir lagen 1200 Kilometer Wüste. Nur unterbrochen durch die vor allem für Radreisende wichtigen „Roadhouses“. Das sprachliche Äquivalent auf Deutsch ist Raststätte – Aber mit Raststätten, wie wir sie kennen hat das mal gar nix zu tun.
Tatsächlich sind es meistens einfach nur Häuser in der Nähe der Straße. Oft sogar ohne Zapfsäule, aber das interessiert mich sicherlich am geringsten. Wie kann man sich solch eine Outback-Raststätte also vorstellen? Im Grunde das Gegenteil von den unzähligen deutschen Autobahnburgen: Coupon-Bezahltoiletten (manchmal gibt es Duschen, dafür muss man dann zahlen, bekommt aber keinen Coupon ;)), ausgiebige Zeitschriften- und Snackauslage (solange ich Iced-Coffee und Snickers vorfinde kommt niemand zu Schaden – Geld spielt keine Rolle!), angeschlossenes Fast-Food-Restaurant (wenn es Essen gibt, ist es feinstes Truckerfood a lá Burger oder Fish & Chips – was gleichzeitig ideales Radfahreressen darstellt…im Gegensatz zu den Truckies kann ich die Kalorien aber gebrauchen;)), Geldautomaten (bei den steilen Preisen könnte man ab und zu einen gebrauchen…), Kinderspielplatz (dafür einen unüberschaubaren Streichelzoo mit Kängurus, Koalas, Kamelen, Wombats, Spinnen und Schlangen). Wenn man ganz viel Glück hat, dann ist sogar noch etwas Obst vom letzten Food-Truck da!
Neben einer gewissen Preistoleranz, darf man sich durch harsches Auftreten der Betreiber nicht zwangsläufig abschrecken lassen. Wie das Land, so die Leute – oder so ähnlich. Für den gemeinen Radtouristen ist es teils von existenzieller Wichtigkeit sich mit den Menschen in den Roadhouses gut zu stellen, damit man nicht 10 Dollar pro 1,5l Flasche Wasser bezahlen muss, sondern seine Wasservorräte (meine Gefäße fassten 9 Liter) im grundsätzlich IMMER vorhandenen Wasserfiltersystem auffüllen zu dürfen (die meisten erzählen was anderes und manchmal muss man dann auch das Leitungswasser bzw. Bore Water in Kauf nehmen, welches brackig, erdig, salzig, aber sicherlich nicht nach Wasser schmeckt).
Wie sich sowohl Laie, als auch der erfahrene Radreisende denken können, ist neben Nahrungsaufnahme Wasser das zentrale Thema – vor allem während des australischen Sommers und noch einmal mehr, wenn man durch die Wüste radelt und die Distanzen zwischen Wasserquellen bis zu 200 Kilometer betragen können. Im Grunde sind die Roadhouses die einzig sichere Wasserquelle, da man auf die Regenwassertanks oft nicht zählen kann.
Kein Roadhouse gleicht dem anderen. Das fasziniert mich. Manches ist an Unwirtlichkeit nicht zu übertreffen, aber da in hunderten Kilometern Umkreis kein annährend so wirtliches Plätzchen zu finden ist, wird auch die letzte Baracke zur Oase für den Radreisenden oder hilfsbedürftigen Autofahrer. Die einen bunt und verrückt geschmückt, mit und ohne Plan, die anderen trostlos, verdreckt oder schlichtweg unheimlich.
Im ersten Roadhouse (Penang) machte ich gleich schlechte Erfahrungen und wurde des Wassers verweigert. Füllte mir dann trotzdem etwas in den Toiletten ab – feinstes „bore water“. Worauf die unfreundlichen oder abweisenden Roadhouses meistens aus sind, ist Wasser für einen unerhörten Preis käuflich zu erwerben. Das kann man natürlich machen, aber neben hunderten von Plastikflaschen, verschwendet man bei 4-8 Litern pro Tag auch eine horrende Summe an Geld.
Meine Taktik war meist etwas zu kaufen (die Wahl fiel in der Regel auf Iced Coffee oder Cola), dann ins Gespräch zu kommen und am Ende recht beiläufig nach Wasser zu fragen (meist wurde es mir zu diesem Punkt bereits ohne Fragen angeboten). Selbst in Situationen in denen die Verkäufer darauf verwiesen, “dass sie das eigentlich nicht dürfen“ blabla, ging ich mit aufgefüllten Wasservorräten vom Hof.
Im zweiten Roadhouse in Nundro, welches ich auch noch am ersten Tag meines Trips passierte, hatte ich dank der hübschen, deutschen Bedienung und einigen bitten und betteln mehr Glück. Nach der obligatorischen Cola und einem Schnack mit zwielichtigen Roadtrain-Fahrern pedalierte ich noch ein paar Meter weiter, um einmal mehr mein Nachtlager aufzuschlagen. Da es noch relativ früh war, ich in guter Stimmung war endlich in der Wüste angekommen zu sein, wollte ich wirklich alles aus diesem Tag rausholen und mein erstes Brot in der Wildnis backen.
Überall gibt es andere Bezeichnungen und leichte Variationen für diese einfachen Mehl und Wasser Gemische. In Kanada sollte ich das Buschbrot zwei Jahre später das “Bannock“ kennenlernen, was aber eigentlich gar kein Buschbrot in dem Sinne ist, weil es in der Pfanne und idealerweise mit Butter zubereitet wird. Zudem auch nicht wirklich kanadischen, sondern englischen bzw. keltischen Ursprungs, egal… In Australien jedenfalls heisst das Zeug „Damper“. Wer gerade zufällig ein Feuer laufen hat, der schnappe sich Mehl, Wasser und etwas Backpulver…
Und so wird’s angestellt: Auf ein Teil Mehl kommen in etwa drei Teile Wasser (für das Backen und Kochen gefällt mir die „cup“, also Tassen-Methode mittlerweile besser, als das ewige Wiegen und Ablesen verschiedener Messskalen). Irgendeine Art von Gefäß ist schließlich immer zur Hand. Das Backpulver, und wer den Luxus von Salz oder gar Zucker mit sich führt, mit dem Mehl vermischen. Ein Kuhle im Mehl bilden und sukzessive Wasser zugeben. Dann die ohnehin schmutzigen Hände zum Kneten verwenden und ordentlich durchkneten bis das Ganze nicht mehr klebt. Zu klebrig = mehr Mehl, zu trocken = mehr Wasser.
Soweit so gut. Dann verteilt man die Glut, formt einen recht flachen Fladen und legt den Teig direkt auf die Glut. Ja da kommt etwas Asche mit, aber ich sage euch, ein echter Genuss. Je nachdem wie heiß deine Glut ist, braucht ein Fladen etwa 10 Minuten – zwischendurch ruhig auch mal wenden.
Frisch schmeckt das Brot natürlich am besten, aber da ich auch nicht jeden Tag Brot backen wollte, habe ich immer auf Vorrat gebacken, um für ein, zwei Tage keinen Back- und Feuerstress zu haben. Beim Kochen und vor allem beim Feuer machen in Australien sollte man ohnehin mit äußerster Sorgfalt und Vorsicht vorgehen. Du willst nicht derjenige sein, der das nächste Buschfeuer entfacht, weil du Brot backen wolltest…!
So. Zurück zum Radfahren. Nicht ganz. Wie so oft schlägt das Universum nach überragenden Tagen auch gerne mal zurück. Ein Platten am Morgen bereitete mir Kummer und Sorgen (gut, wa!?). Der zweite dieser Tour und natürlich darauf zurückzuführen, dass ich nicht mit meinen präferierten Schwalbe Marathon Plus unterwegs war, was wiederrum an dem spontanen Charakter dieser Tour lag und den doch erheblichen Preisen für deutsche Wertarbeit am anderen Ende der Welt.
Nur 20 Minuten für einen Reifenwechsel am Hinterrad. Das war zu verschmerzen. Just als ich mich auf den Weg begeben wollte wurde ich von zwei japanischen Radlern eingeholt. Die zwei waren auf einer Mission ein Segel zu testen. Ja. Ein Segel am Fahrrad. Klingt verrückt, ist aber so. Der 64-jährige Daisuke bereiste bereits in früheren Semestern die Welt mit dem Rad. Elf Jahre und gute 130.000 Kilometer on Tour. Wenn das mal nichts ist. Natürlich war der Gute auch in Deutschland unterwegs.
Noch beeindruckender fand ich dann allerdings, dass er die Idee mit dem Segel schon seit 15 Jahren mit sich herumträgt und erst jetzt, nachdem er in Rente gehen durfte, ausprobieren konnte. Zuvor arbeitete er für Panasonic, die im Übrigen auch die Räder der beiden gebaut haben, und sein Chef wollte ihn nicht in Urlaub gehen lassen – soviel zur japanischen Arbeitsmoral. In jenen Zeitraum fiel damals auch die schwere Tsunami-Katastrophe in Fukushima und die beiden trugen eine Flagge mit sich herum, in der sich jeder, den sie trafen, mit Wünschen und Grüßen an die Betroffenen und Angehörigen der Opfer wenden konnte.
Nun wusste ich, dass ich nicht allein auf weiter Flur war, allerdings waren die zwei doch etwas langsamer unterwegs als ich – trotz Segel. Und so trennten sich unsere Wege nach dem kurzen Treffen wieder. Der Fakt aber, dass ich unter anderem meine Mailadresse auf dem Segel hinterlassen hatte, sollte noch Wochen später eine Rolle spielen und sogar den Grundstein für mein zweites Australien-Abenteuer in 2014 legen…
Eine der schönsten Dinge auf Reisen für mich sind die Menschen die man unterwegs trifft und kennenlernt. Als Radfahrer genießt man zumeist besondere Aufmerksamkeit. Vor allem wenn man im Sommer in der Nullarbor unterwegs ist. Soviele Leute hielten an, erkundigten sich nach meinem Befinden oder boten mir kühles (!), sauberes Wasser an. Die Brühe die ich zumeist trinken musste hatte mit Wasser oft nicht viel gemein, zumal das Wasser in der Wüste aus tiefen Quellen stammt und nicht so ganz zum Trinken geeignet ist – das sogenannte bore water. Geschmacklich und auch optisch sehr erdig…Sodass ich sehr gerne Wassergaben annahm. Das höchste der Gefühle aber war ohne Ausnahme eine kühle Coca Cola.
Da ich kein Thermometer mit mir herumtrage, wusste ich nie wirklich wie heiß es war, aber die Zahl der Autos die anhielt und mir Getränke anbot ließ immer erahnen in welcher Hitze ich vor mich hinstrampelte. So wurde das Geräusch eines herannahenden Fahrzeugs welches vom Gas ging eines der schönsten auf dieser Reise, denn das bedeutete in den meisten Fällen ein kühles Getränk. Im unglücklichen Fall aber auch Touris, die ohne Hallo und Fragen einfach Fotos machten, um dann weiter zu rasen. Ich habe nichts gegen Fotos, aber ich will bitte nicht wie ein Tier im Zoo abfotografiert werden.
Die positiven Erlebnisse überwiegen deutlich:
Da wäre der Van-Fahrer der mehrere Minuten neben mir hercruiste und sich locker mit mir unterhielt. An der nächsten Raststätte, die ich Stunden später erreichte, bekam ich von der Kassiererin seine Visitenkarte ausgehändigt mit der Bitte sich bei ihm zu melden. Er wollte mich in Perth beherbergen.
Zwei Mädels bauten regelrecht einen Verpflegungsstand für mich auf und empfingen mich am Straßenrand mit saftig kühler Wassermelone. Die beiden waren auch schonmal mit dem Rad unterwegs und hatten sich immer jemanden gewünscht, der für sie einen Verpflegungsstand aufbaut 🙂
Einer der vielen grauen Nomaden (grey nomads – Rentner die ihr Leben im Camper verbringen) lud mich zu feinstem Raststätten Fast Food ein. Ein anderer Camper hielt ein paar hundert Meter vor mir an, Beifahrer stieg aus und stellte etwas auf den Seitenstreifen. Bevor ich das Auto erreichte waren die beiden auf und davon, aber eine eisgekühlte Limonade wartete auf dem Seitenstreifen. Eisgekühltes Glück in Dosenform.
An einem anderen schweren Tag, an dem es super heiß war und ich allein auf weiter Flur zu sein schien, tauchte aus dem Nichts ein kleiner Partyvan auf und drückte mir eine Flasche Bier in die Hand. Kalt. Dieses Bier war ohne Übertreibung eines der besten, erfrischendsten Biere meines Lebens. Hahn Dry werde ich nie vergessen und jeder Versuch nochmal so ein leckeres Hahn-Bier zu bekommen ist seither gescheitert, war wohl ein einzigartiger Jahrgang 😉
Oder das Pärchen mit Wohnmobil welches mir Kaffee und Kuchen en masse servierte. Das beste zweite Frühstück (wie ich es nenne, oder englisch: Morning Tea) dieser Reise. Zum Abschied auch noch eine Cola für den Weg, was will man mehr.
Gegen Ende der Nullarbor hatte ich kein Mehl mehr zum Backen und eine Raststätte führte kein Brot mehr, was ohnehin unbezahlbar ist. Daraufhin kam ein Kerl auf mich zu und drückte mir eine Packung Brot aus seinem Camper in die Hand. Sei es das Universum, Karma, das Glück (des Tüchtigen), der Lauf der Dinge, Schicksal…Ich hoffe all diese Gefälligkeiten in irgendeiner Form zurückgeben zu können. In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf die großartige Plattform von http://www.warmshower.org aufmerksam machen. Ein Couchsurfing für Radreisende, bei der sich aber auch nicht-Radler als Gastgeber eintragen können.
Eine polnische Familie im Wohnmobil. Während mich der Mann mit seiner Mega-Videokamera interviewte – Kein Scherz! – Schmierte mir seine Frau das sicherlich beste Sandwich der Reise. Obendrauf gab es noch eine Ladung polnischer Tütensuppen, die ausnahmsweise eine angenehme Geschmacksergänzung zu meiner üblichen Couscous-Thunfisch-Kombi boten.
Viele weitere Menschen bereicherten meine Reise und ich bin dankbar für jeden der meinen Weg gekreuzt hat. Für mich sind es die Zwischenmenschlichen Begegnungen und das Naturerlebnis, die das Reisen so wertvoll machen.
Der nächste Bericht erzählt dann über die letzten Meter in der Nullarbor und das Ende Australientour.