Mein Tagesrhythmus war bestimmt von der Sonne. Wenn es hell wurde stand ich auf und spätestens eine Stunde vor Sonnenuntergang schlug ich mein Nachtlager auf. Nachdem es zu Beginn meiner Reise einige Überwindung kostete wild zu campen, konnte ich mir nach wenigen Tagen nichts besseres vorstellen. Sobald ich in der isolierten Weite Australiens war, hatte ich die Wahl überall und jederzeit mein Lager aufzuschlagen.
Nach dem Aufstehen frühstückte ich, fuhr dann zwischen 20 und 50 Kilometer (je nach Tagesform) und legte eine weitere Pause für das zweite Frühstück ein. Tankstellen, kleine Ortschaften und Rastplätze waren die Stopps meiner Wahl. Wenn ich Glück hatte, fand ich sogar ein wenig Schatten. Dort aß ich dann in Ruhe und machte hin und wieder ein kleines Nickerchen. Neben reichlich Erdnussbutterbroten, konsumierte ich Unmengen an koffeingeladenen Milchkaffees, die in Tetrapacks daherkamen. Irgendwoher mussten die Kalorien schließlich kommen. Das höchste der Gefühle war, wenn ich an heißen Tagen* an eine eisgekühlte Cola kommen konnte. Ich wusste nie genau wie warm es war, was vielleicht auch besser war, jedoch hielten bei besonders hohen Temperaturen mehr Autos als gewöhnlich und fragten mich ob alles klar sei (das war der Code für: “Bist du noch ganz bei Trost bei diesem Wetter draußen zu sein…?”). Oftmals wurde ich mit einem Kaltgetränk aus der Kühlbox belohnt, die bei jedem Australier zur Standardausstattung im Auto zu gehören schien.
*Also immer
Ich erinnere mich an einen schweren und abartig heißen Tag im Sattel. Allein der Gedanke im nächsten Ort eine kalte Cola runterzuspülen ließ mich weiterpedalieren. Es war noch mindestens eine Stunde bis ich den Ort erreichen würde, als aus dem Nichts ein Pickup mit einer Bande Leuten auftauchte und mich zum anhalten brachte. Es war das erste Auto seit Stunden. Es folgte die gewöhnliche Abfolge an Fragen. Wohin, woher, wie lange und so weiter. Nach kurzem Erstaunen über mein Unterfangen und einer guten Portion Ungläubigkeit von der bereits zurückgelegten Strecke, wurde ich mit einem kühlen Bier belohnt. Es war das wahrscheinlich leckerste und erfrischendste Bier meines Lebens. Nach der lebhaften Pause, die sich angesichts der landschaftlichen Ödnis wie ein Tagtraum anfühlte*, fiel mir das Radfahren wieder leicht. Schnell war ich im herbeigesehnten Ort und genehmigte mir die herbeigesehnte Coke. Danach tränkte ich mein T-Shirt mit Wasser, um zumindest für kurze Zeit abzukühlen. Nach guten zehn Minuten war das T-Shirt wieder trocken.
*Lediglich die darauffolgenden Bierrülpser bewiesen, dass sich das tatsächlich ereignet hatte
Während des australischen Sommers weht der Wind im südlichen Landesteil in der Regel aus östlicher Richtung. Kommt er aus südlicher Richtung ist er etwas frischer und bringt meist kühleres Wetter. Wenn er jedoch aus nördlicher Richtung kommt, ist die Luft so heiß, dass man das Gefühl hat einem sengen die Haare an. Denn während ihres 3000 Kilometer langen Weges heizt sich die Luft dermaßen auf, dass es sich anfühlt, als würde man vor einem Heizlüfter stehen. Tatsächlich erlebte ich die heißesten Tage nicht in der Nullarborwüste, sondern vor und nach dem berüchtigten Teilstück.
Und dann, endlich, nach guten 2000 Kilometern Anlauf, erreichte ich die weite Fläche der Nullarbor-Ebene. Vor mir lagen 1200 Kilometer Straße auf denen die einzige Quelle für Nahrung und Wasser Roadhouses und ggf. Regenwassertanks* sein würden. Dazwischen waren Distanzen von 100 bis 200 Kilometern zurückzulegen.
Die australische Variante der Raststätte hat allerdings wenig mit unserem Verständnis des Wortes zu tun. Kein Roadhouse glich dem anderen. Das faszinierte mich. Manches ist an Unwirtlichkeit nicht zu übertreffen. Aber die Monopolstellung im Umkreis von mindestens hundert Kilometern, macht auch die letzte Baracke zur Oase für Radreisende oder hilfsbedürftige Autofahrer.
Die einen bunt und verrückt geschmückt, mit und ohne Plan, die anderen trostlos, verdreckt oder schlichtweg unheimlich. Was aber alle Roadhouses gemeinsam hatten: Hausgemachte Burger oder Fish and Chips (ein Burger trug immer den Namen des jeweiligen Roadhouses). Feinstes Kraftfutter also. Zumindest für Radfahrer. Denn im Gegensatz zu den zahlreichen Truckern die dort halt machen, konnte ich die Kalorien dringend gebrauchen. In der Hitze zog ich aber meist leicht verdauliche Nahrung vor. Das hieß Eiskaffee und Snickers. Mit Glück konnte man sogar etwas Obst ergattern, wobei das davon abhing wann gerade der letzte Foodtruck da war. Das galt aber eigentlich für alle Artikel. Und egal was man kaufte, alles war um ein vielfaches teurer, als gewöhnlich. Und damit meine ich nicht den deutschen Tankstellenaufschlag. Ich rede hier von 10 Dollar für eine Flasche Wasser!
*Man sollte sich nicht darauf verlassen dort Wasser vorzufinden
Neben einer gewissen Preistoleranz, darf man sich nicht durch das häufig harsche Auftreten der Betreiber abschrecken lassen. Wie das Land, so die Leute – oder so ähnlich. Für den gemeinen Radtouristen ist es teils von existenzieller Wichtigkeit sich mit den Menschen in den „Roadhouses“ gut zu stellen, damit man eben nicht die 10 Dollar pro 1,5l Flasche Wasser (Erinnerung: Ich benötigte rund acht Liter pro Tag!) bezahlen muss, sondern seine Wasservorräte im grundsätzlich immer vorhandenen Wasserfiltersystem auffüllen zu dürfen. Das klappt nicht immer. Dann kann man entweder Geld hinlegen (ich hatte keines) oder “Bore Water” aus der Leitung nehmen. Dieses zeichnet sich durch eine Geschmackskombination aus brackig, erdig und salzig aus. Aber hat ganz sicher nichts mit dem gemeinen Verständnis von Wasser zu tun. Ich habe es getrunken und hatte keine Probleme. An den Geschmack konnte ich mich dennoch nicht gewöhnen.
Im ersten Roadhouse (Penang) machte ich gleich schlechte Erfahrungen und wurde des Wassers verweigert. So konnte ich mich direkt an den Geschmack von bore water gewöhnen. Da ich ohnehin auf Eiskaffee, Cola oder Snickers aus war, kaufte ich zunächst immer etwas. Darüber, oder aufgrund meines Radfahrlooks (den Helm trug ich wie einen Pokal mit mir herum) kam ich ins Gespräch. An irgendeinem Punkt kam man zwangsläufig auf das Thema Wasser zu sprechen, was mir dann häufig ohne zu fragen angeboten wurde. Selbst in Situationen in denen die Verkäufer darauf verwiesen, “dass sie das eigentlich nicht dürfen“ blabla, ging ich mit aufgefüllten Wasservorräten vom Hof.
Im zweiten Roadhouse in Nundro, welches ich auch noch am ersten Tag meines Trips passierte, hatte ich dank der hübschen, deutschen Bedienung und einigen bitten und betteln mehr Glück. Nach der obligatorischen Cola und einem Schnack mit zwielichtigen Roadtrain-Fahrern pedalierte ich noch ein paar Meter weiter, um dann mein Nachtlager aufzuschlagen. Da es noch relativ früh war wollte ich alles aus diesem Tag herrausholen und machte mich daran mein erstes Busch-Brot zu backen. Überall gibt es andere Bezeichnungen und leichte Variationen für diese einfachen Mehl und Wasser Gemische. In Kanada sollte ich das Buschbrot zwei Jahre später das “Bannock“ kennenlernen, was aber eigentlich gar kein Buschbrot in dem Sinne ist, weil es in der Pfanne und idealerweise mit Butter zubereitet wird. Zudem auch nicht wirklich kanadischen, sondern englischen bzw. keltischen Ursprungs, egal. Das kannst du auch selbst bei Wikipedia nachlesen. In Australien wird dieses simple, doch nicht minder leckere Brot als „Damper“. Wer gerade zufällig ein Feuer laufen hat, der schnappe sich Mehl, Wasser und ggf. Backpulver…
Do it yourself: Damper – Auf einenTeil Mehl kommen in drei Teile Wasser (für das Backen und Kochen gefällt mir die Volumen-Methode (”cup” bzw. Tasse) besser, als das ewige Wiegen und Ablesen verschiedener Messskalen). Irgendeine Art von Gefäß ist schließlich immer zur Hand. Das Backpulver mit dem Mehl vermischen. Falls zur Hand eine Prise Salz und etwas Zucker dazugeben. Ein Kuhle im Mehl bilden und sukzessive Wasser zugeben. Mit den Händen solange durchkneten bis der Teig nicht mehr klebt. Zu klebrig = mehr Mehl, zu trocken = mehr Wasser.
Wenn man das wie ich mit einem Feuer machen will (es geht nichts über das rauchig, markante Holzaroma!), sollte in der Zwischenzeit ein Feuer entfacht haben. Wenn man den Teig soweit hat, verteilt man die Glut und platziert darauf einen möglichst flachen Teigfladen. Je heißer deine Glut und je dünner der Fladen, desto schneller ist er fertig. In der Regel fünf bis zehn Minuten. Idealerweise sollte man das Teil einmal wenden. Enjoy!
Frisch schmeckt das Brot natürlich am besten, aber da ich auch nicht jeden Tag Brot backen wollte, habe ich immer gleich eine große Portion gebacken. Davon konnte ich dann zwei bis drei Tage lang naschen. Zudem wollte ich nicht jeden Tag ein offenes Feuer entfachen. Schließlich wollte ich nicht derjenige sein, der das nächste Buschfeuer entfacht, nur weil er Brot backen wollte…
Genug der Kulinarik und zurück zum Radfahren. Auf jedes Hoch folgt früher oder später ein Tief. In meinem Fall kam es eher früher: Der nächste Morgen startete mit einem platten Reifen (mit Schwalbe Reifen wäre das nicht passiert!). Natürlich am Hinterrad. Das hieß erstmal alles abladen. Nach zwanzig Minuten am Straßenrand war ich wieder startklar. Gerade als ich losfahren wollte hielten zwei japanische Radfahrer neben mir, die aus dem Nichts aufzutauchen schienen. Wir kamen ins Gespräch und sie erzählten mir von ihrem Vorhaben ein Fahrradsegel zu testen. Genau. Ein Segel am Fahrrad. Es stellte sich heraus, dass ich vor so etwas wie der japanischen Radreiseikone stand. Der 64-jährige Daisuke bereiste bereits in jüngeren Jahren die Welt mit dem Rad. Er war elf Jahre unterwegs und legte dabei 130.000 Kilometer zurück. Wenn das mal keine Hausnummer war.*
*Keine Werbung. Diese Behauptung beruht auf zehntausenden gefahrenen Kilometern – ohne Platten.
**Heute, im Jahr 2018, erscheint mir diese Zahl weit weniger imposant. Schließlich komme ich allein durch meine Radreisen auf knappe 40.000 Kilometer.
Beeindruckender fand ich allerdings, dass er die Idee mit dem Segel schon seit 15 Jahren mit sich herumträgt. Erst jetzt, nachdem er in den Ruhestand gegangen ist, konnte er die Idee endlich ausprobieren. Sein Chef bei Panasonic wollte ihm vorher keinen ausreichend langen Urlaub gewähren. Ein Beweis für den strengen japanischen Arbeitsethos. Immerhin bekamen die beiden eigene Fahrräder zur Verfügung gestellt.
Kurz bevor ich die beiden traf, ereignete sich die schwere Tsunami-Katastrophe in Fukushima. Die beiden trugen eine Flagge mit sich herum, auf der sich jeder den sie trafen mit Wünschen und Grüßen an die Betroffenen und Angehörigen der Opfer wenden konnte. Wir tauschten Kontaktdaten aus und gingen danach wieder getrennte Wege, da ich doch ein wenig schneller unterwegs war. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, war, dass diese Begegnung den Grundstein für ein weiteres Radreiseabenteuer in Australien legen würde.
Es ist erstaunlich wie viele Bekanntschaften man auf so einer Radreise macht. Während man in Städten meist ungeachtet über den Haufen gefahren wird, genießt man in dünner besiedelten Landstrichen eine besondere Aufmerksamkeit. Vor allem, wenn man im Sommer in der Nullarbor unterwegs ist. So viele Leute hielten an, erkundigten sich nach meinem Befinden oder boten mir etwas kühles zu trinken oder gar eine Mitfahrgelegenheit an.
So wurde das Geräusch eines herannahenden Fahrzeugs welches vom Gas ging eines der schönsten auf dieser Reise. In den allermeisten Fällen bedeutete das ein kühles Getränk. Das höchste der Gefühle war natürlich eine kalte Cola. In weniger schönen Momenten waren es Touristen, die mich wie ein Tier im Zoo fotografierten und ohne ein Wort des Grußes davonbrausten. Selten habe ich mich bescheuerter gefühlt.
Die positiven Erlebnisse überwogen eindeutig: Da wäre der Van-Fahrer, der mehrere Minuten neben mir hercruiste und sich locker mit mir unterhielt. An der nächsten Raststätte, die ich Stunden später erreichte, bekam ich von der Kassiererin seine Visitenkarte ausgehändigt mit der Bitte sich bei ihm zu melden. Er bot an mich in Perth zu beherbergen.
Zwei Mädels bauten regelrecht einen Verpflegungsstand für mich auf und empfingen mich am Straßenrand mit saftig kühler Wassermelone. Die beiden waren auch schon mal mit dem Rad unterwegs und hatten sich immer jemanden gewünscht, der für sie einen Verpflegungsstand aufbaut. Cheers!
Einer der vielen grauen Nomaden (grey nomads – Rentner die ihr Leben im Camper verbringen) lud mich zu feinstem Raststätten Fast Food ein. Ein anderer Camper hielt ein paar hundert Meter vor mir an, der Beifahrer stieg aus und stellte etwas auf den Seitenstreifen. Das Auto fuhr davon bevor ich in Reichweite war, aber ich fand eine eisgekühlte Limonade auf dem Seitenstreifen. Eisgekühltes Glück in Dosenform.
Oder das Pärchen mit Wohnmobil welches mir Kaffee und Kuchen ohne Ende servierte und mir zusätzlich eine kalte Cola mit auf den Weg gab. Definitv das beste zweite Frühstück* der Reise.
*Tatsächlich gibt es im Englischen eine Bezeichnung für das zweite Frühstück. Nach dem bekannten breakfast, kommt etwas später der morning tea.
Zum Ende der Nullarbor hatte ich kein Mehl mehr zum Backen. Das nächste Roadhouse hatte kein Brot mehr. Scheinbar bekam das ein anderer Besucher mit und kam auf dem Parkplatz mit einer Packung Brot aus seinem Camper auf mich zu.
Eine polnische Familie im Wohnmobil. Während mich der Mann mit seiner Mega-Videokamera interviewte – Kein Scherz! – Schmierte mir seine Frau das sicherlich beste Sandwich der Reise. Obendrauf gab es noch eine Ladung polnischer Tütensuppen, die ausnahmsweise eine angenehme Geschmacksergänzung zu meiner tagtäglichen Couscous-Thunfisch-Kombi boten.
Viele weitere Menschen, die hier nicht erwähnt wurden bereicherten meine Reise auf unterschiedlichste Art und Wiese. Ich bin dankbar für alle, die in irgendein Form meinen Weg gekreuzt haben. Seien es hupende Roadtrainfahrer, herausgestreckte Daumen aus dem Auto, oder die fassungslosen Blicke an Rastplätzen, wenn ich bei 45 Grad im Schatten mit meinem bepackten Fahrrad auf den Parkplatz rollte.